30.7.22

Bericht aus Bulgarien (213) - "George Orwell über die New York Times und andere 'pro westliche' Medien"

Krieg ist Frieden
Freiheit ist Sklaverei
Unwissenheit ist Stärke

Obiges Foto entstand am 11. Mai dieses Jahres bei einem Protest gegen die damals noch amtierende angeblich "pro westliche" Regierung Bulgariens unter Kiril Petkow praktisch vor dem Parlament, das rechts zu sehen ist, im Hintergrund die Alexander-Newski-Kathedrale. Wenig später wurde diese Regierung mittels Misstrauensvotum abgewählt, aber da sie wie gesagt angeblich "pro westlich" war, wurde sie in den Medien in Deutschland "gestürzt". Ich schreibe ganz bewusst angeblich "pro westlich", weil dies ein neuer Begriff ist, von dem ich nicht so recht weiß, was er bedeuten soll, aber vor allem weiß ich nicht, was das Gegenstück zu "pro westlich" sein soll. Der Logik nach müsste es "pro östlich" sein. Nur, was soll das sein: "pro östlich"? Was ich weiß, ist, dass früher ein Misstrauensvotum in einer Demokratie etwas ganz Normales war, und wenn man es verloren hatte, dann wurde man nicht gestürzt, sondern hatte das Vertrauen verloren. Von Boris Johnson, der fast zeitgleich ein Misstrauensvotum verloren hat, wird auch nicht behauptet, er wäre gestürzt worden. Doch zurück zum Protest auf dem Platz vor dem Parlament, wo jetzt die Straße aufgerissen wird, so dass aktuell keine Proteste stattfinden können. Der Protest damals, bei dem ich persönlich wie auf vielen Proteste in der letzten Zeit zugegen war, war von der Partei "Wiedergeburt" organisiert und richtete sich gegen die "militärtechnische Hilfe" für die Ukraine. Nach drei Abstimmungen im bulgarischen Parlament, die mich an die Abstimmungen für eine allgemeine Impfpflicht in Deutschland erinnert haben, wurde sie bewilligt, wobei bis heute niemand so genau sagen kann, was genau "militärtechnische Hilfe" sein soll. Eigentlich wollte die angeblich "pro westliche" Regierung eine offene militärische Unterstützung ähnlich wie in Deutschland. Dieses Ziel hat sie nicht erreicht. Was erreicht wurde, war, dass diese ganz klar verlorene Abstimmung der Anfang vom Ende dieser Regierung in Bulgarien war. Gestern kam das Parlament zum letzten Mal zusammen, im Oktober gibt es voraussichtlich Neuwahlen, wenn vorher nicht der Notstand ausgerufen wird. Etwas, was auch in Deutschland passieren kann, so denke ich. Zurück zu den Protesten, bei denen ich zugegen war, die sich für eine Neutralität Bulgariens und gegen jedwede militärische Hilfe einsetzten, und die von der Partei "Wiedergeburt" organisiert waren, die immerhin mit knapp fünf Prozent im Parlament sitzt. Der Name der Partei geht auf die Zeit zurück, in der Bulgarien wieder ein eigenständiger Staat wurde und nicht länger Teil des Osmanischen Reiches war. Nicht wenige Bulgaren hatten nach knapp 500 Jahren türkischer Herrschaft fast ihre Sprache vergessen, man sprach einen Mix aus griechisch, türkisch, russisch und bulgarisch, auch deswegen der Begriff "Wiedergeburt". Wer sich für Geschichte interessiert, kann dies unter anderem in der "Slawobulgarischen Geschichte" von Paissi von Chilendar nachlesen. Der Begriff "Wiedergeburt" hat also in der bulgarischen Geschichte eine Bedeutung, die im Westen nicht bekannt ist und die auch nicht erklärt wird, obwohl dies zum Verständnis wichtig wäre, beispielsweise wenn über die Partei "Wiedergeburt" berichtet wird. Auch die altehrwürdige New York Times (NYT) wäre gut beraten, dies zu tun, und sie nicht "a nationalist outfit" ("eine nationalistische Gruppierung") zu nennen, wie sie es in diesem Artikel tut, in dem es um die Proteste in Sofia geht, bei denen ich zugegen war. Der ganze Absatz in der NYT lautet: "When the [Bulgarian] government submitted a resolution in Parliament last week authorizing 'military-technical assistance' to Ukraine, even the Socialist Party, long a stalwart supporter of Russia, voted in favor. The only party that voted against was Revival, a nationalist outfit that has staged regular protests in support of Russia’s invasion." (davon der letzte Satz auf deutsch: "Die einzige Partei, die dagegen stimmte, war 'Wiedergeburt', eine nationalistische Gruppierung, die regelmäßig Proteste zur Unterstützung der russischen Invasion veranstaltet.") - Bei diesem Satz handelt es sich um eine Falschinformation, um eine Ente, praktisch um Fake News. Denn die Forderungen der Demonstranten waren: für die Neutralität Bulgariens ("Bulgarien - Zone des Friedens") und gegen jede militärische Unterstützung der Ukraine. Eine Unterstützung der russischen Invasion gab es auf keinen der zahlreichen Proteste, auf denen ich allesamt zugegen war. Was es gab, war obiges Plakat mit dem bekannten Orwell-Zitat aus "1984". Besonders die letzte Zeile scheint auf die Berichterstattung der "pro westlichen" Medien über die Proteste in Bulgarien zuzutreffen: "Unwissenheit ist Stärke".

PS: Neulich hörte ich von einem Bekannten den Satz, dass er von etwas noch nie gehört hätte. (Ich vermute, weil der Spiegel nicht darüber geschrieben hatte.) Die Antwort auf dieses Phänomen fand ich in dem neuen Buch "Angstgesellschaft" von Hans-Joachim Maaz, das demnächst auf Bulgarisch erscheinen wird. Maaz sprach in diesem Zusammenhang von einer "Holschuld" und meint damit, dass wir (leider) wieder in einer Zeit leben, in der man sich aktiv selbst Informationen holen bzw. besorgen muss. Dem stimme ich zu und erlaube mir hinzuzufügen: damit später niemand sagen kann, man hätte (mal wieder) von nichts gewusst. 

Foto&Text TaxiBerlin

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