26.6.22

Bericht aus Berlin (39) - "Die Angstfalle"

 

Hans-Joachim Maaz, der mir in Berlin auch schon mal im Taxi saß, hat ein neues Buch geschrieben. Es heißt "Angstgesellschaft" und wird gerade von meinem Freund und Übersetzer Martin ins Bulgarische übertragen und soll demnächst beim in Sofia ansässigen Ost-West Verlag auf Bulgarisch erscheinen. Auf Deutsch ist es bereits im Mai bei Franke & Timme erschienen und in obigem Video stellt der Therapeut meines Vertrauens es mit folgenden einleitenden Worten vor: "Wer sich nur Öffentlich/Rechtlich informiert, ist praktisch ein einer Angstfalle gefangen." - Wie diese aussehen kann, habe ich in "Wiedersehen in Deutschland" beschrieben.

Video YouTube
Text TaxiBerlin

2 Kommentare:

  1. Es ist immer wieder erfrischend, seinen Ausführungen zuzuhören. Maaz zeigt auf, wodurch seiner Meinung nach bestimmte Verhaltens- und Denkweisen begründet oder gar verursacht sind. Das gelingt ihm sehr differenziert anhand der unterschiedlichen missglückten Eltern-Kind-Beziehungen, die wir ja alle mehr oder weniger erleben durften, die auch unsere Kinder mehr oder weniger erleben (werden).

    Und jetzt? Gefahr erkannt, Gefahr benannt? Was fange ich an damit, wenn ich als alter Mensch weiß - und womöglich seit Jahren weiß -, dass die Fehlende Zuneigung in meiner Kindheit mich zu dem werden ließ, der ich heute bin?

    Mir reicht es nicht aus, diese Analysen erzählt zu bekommen. Da kann ich mich einfinden, mich zuordnen, ja oder nein zu sagen und das war es dann. Es wäre gut zu erfahren, wie eine Lösung gefunden werden kann für die eigene Entfremdung, die (Über-)Anpassung, die Autoriätshörigkeit und was es alles an neurotischen Erscheinungsbildern geben mag. Sollen jetzt alle, die aufgrund seiner Ausführungen ein Aha-Erlebnis haben zu ihm in die Analyse gehen?

    Wie kann es gelingen der zu werden, der man ist? Das fände ich viel wichtiger zu erfahren als diese Art der Ursachenforschung. Die Ursachen kann mir auch der unglückliche 70-jährige genauestens benennen, er wird darüber jedoch nicht glücklich werden.

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  2. Danke, Joachim, für deinen ausführlichen Kommentar. Du sprichst viele Punkte an. Ich versuche zumindest auf einige einzugehen. Der Vortrag hat einen zweiten Teil, wo Maaz aktuelle Beispiele seiner therapeutischen Arbeit gibt.

    Gerade lese ich "Deutschland, Lutherland - Warum uns die Reformation bis heute prägt" von Christine Eichel. Die Autorin führt darin die Obrigkeitshörigkeit der Deutschen bis auf Luther zurück. Nietzsche hat sich auch über sie beklagt. Es ist also kein neues Phänomen.

    Dass man Zukunft nur wirklich dann sinnvoll gestalten kann, wenn man die Geschichte verstanden hat, gilt heute immer noch, auch wenn viele denken, es gäbe jeden Tag eine neue Wahrheit. Alleine deswegen ist die Analyse von Maaz wichtig, weil sie im offiziellen Diskurs gar nicht vorkommt.

    Eine Lösung, die Maaz immer wieder betont, ist die bessere Frühbetreuung der Kinder. Mittlerweile dürften wir was dieses Thema angeht bei DDR-Verhältnissen angekommen sein, Stichwort: Krippe, wenn es auch hier nicht schon schlimmer ist. Die Frauen sollen arbeiten gehen, heute um sich selbst zu verwirklichen, früher um die Volkswirtschaft zu stärken. Das Resultat ist immer dasselbe: schlecht betreute Kleinkinder.

    Mit dem Benennen der Ursachen ist es natürlich nicht getan, auch wenn dies ein erster Schritt ist, den viele scheuen. Und sie scheuen ihn zu Recht, denn was in der Regel folgt, ist eine Re-Traumatisierung. Ohne die geht es leider nicht, und das möchten sich viele nicht antun. Nur so kann aber der "Gefühlsstau" (nicht nur ein genialer Buchtitel) gelöst werden.

    Eine vollständige Auflösung oder gar Heilung ist sicherlich nicht möglich. Mein Eindruck ist, dass Maaz in dieser Frage in seinen Büchern immer weniger optimistisch geworden ist, um es mal so zu formulieren. Andererseits ist es die einzige Möglichkeit, so denke ich. Oder man lässt es ganz bleiben. Das geht auch.

    Aktuell sehe ich die Gefahr, dass sich der Gefühlsstau demnächst, wenn es wirtschaftlich weiter den Bach runter geht, an Schwachen entlädt, beispielsweise an Ungeimpften. Das scheint mir das wahrscheinlichste Szenario zu sein. Und da stellt sich die Frage, ob man zurückschlägt und wenn ja: warum?

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