16.6.22

Bericht aus Berlin (18) - "Alles, was du brauchst, ist ein roter Ferrari"

 
Manchmal auch eine Knarre und einen Esel

Obiger Song "Ein Ferrari in der Farbe rot" von Slavi Trifonov und seiner Ku-Ku Band war ein großer Hit Ende der Neunziger in Bulgarien, aber nicht nur das. Auch ich mochte diesen Turbo-Folk-Song sehr und hörte ihn auch gerne bei mir in meinem Berliner Taxi, was immer extrem gut ankam. Die Menschen mochten die Idee, dass alles, was sie brauchen würden, ein roter Ferrari sei. Auf jeden Fall ist ein roter Ferrari viel mehr sexy als Energie zu sparen oder kalt zu duschen. Ich sage das auch als jemand, der zwar nie einen roten Ferrari besaß, obwohl Slavi deswegen sogar bei Gott anruft, damit beginnt der Song, dafür aber schon mal einen Esel hatte. Slavi Trifonov ist gerade mal wieder im Scheinwerferlicht, weil er seine Partei "Es gibt dieses Volk" aus der aktuellen bulgarischen Regierung abgezogen hat und es nächste Woche ein Misstrauensvotum und danach vermutlich Neuwahlen geben wird. Offiziell soll Slavi damit Bulgarien "ins Chaos stürzen", aber offiziell bin ich auch schon tot - also was soll's. Dass Slavi seine Mannen aus der Regierung abzieht, liegt an der Mazedonien-Frage. Zur Mazedonien-Frage kann ich nur sagen, dass mazedonisch keine eigene Sprache ist, sondern ein bulgarischer Dialekt. Das habe ich an einer hiesigen Universität gelernt, und es wurde mir immer wieder von unterschiedlichsten Seiten bestätigt. Ob die Mazedonier sich deswegen als Bulgaren fühlen, das können nur sie selber wissen. Um es herauszufinden, könnte eine Befragung stattfinden. Es ist ein bisschen wie die Frage, ob sich die deutsch sprechende Schweizer, würde man die Schweiz auflösen wie man Jugoslawien aufgelöst hat, als Deutsche fühlen. Wie die Sache ausgehen würde, weiß auch ich nicht, aber eine interessante Fragestellung ist es auf jeden Fall. Doch zurück zum politischen Chaos, in das Slavi, der Mann mit der Knarre und dem Esel, Bulgarien gestürzt haben soll, weswegen er auch ein böser Populist ist, was er aber vorher schon war. Hier stellt sich die Frage, ob die bulgarische Regierung nicht zuvor schon das Land ins Chaos gestürzt hatte, indem sie z.B. "militärtechnische Hilfe" beschlossen hat, von der keiner wusste, was das genau sein soll, und die laut Umfragen 80 Prozent der bulgarischen Bevölkerung ablehnen. Überhaupt stellt sich die Frage nach der Legitimität dieser Regierung, wenn die Wahlbeteiligung bei gerade mal 40 Prozent liegt, was bedeutet, dass das Land von Menschen regiert wird, die kaum mehr als 20 Prozent der Bevölkerung hinter sich haben, was ich als "politisches Chaos" bezeichnen würde. Denn die größte Partei in Bulgarien ist die der Nichtwähler mit 60 Prozent. Zum Vergleich: in Frankreich sind es knapp 50 Prozent. In Bulgarien sind dies meist Menschen ohne Ferrari und auch ohne Dienstwagen, die jetzt schon ihre Strom-Rechnungen nicht mehr bezahlen können. Energie zu sparen, wie der deutsche Wirtschaftsminister es aktuell seinen deutschen Landsleuten empfiehlt, dürfte in ihren Ohren wie blanker Hohn klingen. Wenn man sie bei der nächsten Wahl zum Wählen gehen bewegen könnte, dann wäre dies kein "ins Chaos stürzen", sondern im Gegenteil gelebte Demokratie. Dazu müsste es aber erst einmal entsprechende Wahlalternativen geben, die diesen Namen verdienen, und die gibt es weder in Bulgarien noch in Deutschland. Dass es sie nicht gibt, dürfte der wahre Grund fürs angebliche "ins Chaos stürzen" sein.

Video YouTube
Text TaxiBerlin

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen