13.9.22

Bericht aus Bulgarien (294) - "In Corona"

Hier war die Praxis des Pathologen Dr. Dimiter Dimitrov

Früher hat ein Pathologe die Todesursache festgestellt, insbesondere dann, wenn sie umstritten war. In Bulgarien, wo vieles nicht nur anders, sondern ganz und gar umgedreht ist, Ja bedeutet beispielsweise Nein, und Nein Ja, sind die Leute noch zu Lebzeiten zum Pathologen gegangen, um ihre Todesursache feststellen zu lassen. Deswegen haben Pathologen hier immer ein Schild am Haus, damit ein jeder zukünftige Tote sie auch findet. Obiges Schild in der Ljuben Karavelov Straße in der bulgarischen Hauptstadt Sofia weißt auf die Praxis von Dr. Dimiter Dimitrov hin, der Pathologe ist. Da der Pathologe Dr. Dimiter Dimitrov, er war der letzte im Land verbliebene Arzt überhaupt, vor einiger Zeit selber verstorben ist, ist nicht nur seine Todesursache bisher unklar geblieben, sondern aller nach ihm verstorbenen Bulgaren. Das liegt daran, dass nicht nur alle anderen Pathologen, sondern alle Mediziner im Ausland sind, viele von ihnen in Deutschland. Das zeigt Stephan Komandarev sehr gut in seinem Film "Posoki - Directions", wo nicht nur Popen Taxi fahren, sondern auch Ärzte auswandern. Der Fachbegriff unter Ärzten in Bulgarien dafür ist "Evakuierung". Jedenfalls gibt es in dem kleinen Land am Rand keine Ärzte und auch keine Pathologen mehr, dafür immerhin noch Taxifahrer und Taxifahrende Popen. Deswegen kann auch keiner mehr sagen, ob jemand "an", "mit" oder "im Zusammenhang mit" Corona gestorben ist. Und so hat man sich nach vielen Diskussionen selbst im staatlichen Nationalradio "Christo Botew" in Bulgarien aktuell auf die Sprachregelung "in Corona" geeinigt, was "in Zeiten von Corona" meint. Die Entscheidungsfindung beim Bulgaren dauert immer etwas länger, und meist wird auch keine Entscheidung getroffen, sondern einfach neu gewählt wie jetzt am 2. Oktober. Es ist die vierte Wahl in eineinhalb Jahren, zählt man die Wahl zum Präsidenten Ende letzten Jahres mit, sogar die fünfte. Möglicherweise wird die neue Regierung dann endlich auch offiziell Corona für beendet erklären, so dass "in Corona", auf das man sich zwar geeinigt hat, was aber keinen kümmert, auch keine Rolle mehr spielt. Wenn ich es richtig verstehe, sind Bulgarien und Deutschland die einzigen Länder in Europa, die noch stur an Corona festhalten. Beim Bulgaren, der, indem er sich an Deutschland hält, seinen alten Fehler erneut zu wiederholen scheint, was schon zweimal in die Hose gegangen ist, liegt es daran, dass er keine gewählte Regierung hat, sondern nur eine amtsführende. Aber selbst die letzte angeblich gewählte Regierung war nur von einer Minderheit gewählt worden. 60 Prozent der Bulgaren sind Nichtwähler. Dass Deutschland, im Moment noch wie beschrieben und auch nur halbherzig zusammen mit den "des regiert seins müden" Bulgaren, als einziges europäisches Land trotz gewählter Regierung noch an Corona festhält, kann ich mir nur so erklären, dass die uns Regierenden müde, sozusagen "regierungsmüde" sind. Der aus der Geschichte bekannte "deutsche Sonderweg" könnte bei Corona auch eine Rolle spielen, was wir aber nicht hoffen wollen. Denn das könnte wieder mit "am deutschen Wesen soll sie Welt genesen" und einem globalen Debakel enden. Ich empfehle Deutschland, sich auch in Sachen Corona sich an den Bulgaren zu halten und es bei "in Corona" zu belassen. Auch wenn alle bulgarischen Ärzte und auch Pathologen in Deutschland sind, und sie, wenn gewollt, die genaue Todesursache herausfinden könnten, wird diese demnächst niemanden mehr interessieren.

Foto&Text TaxiBerlin

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