Als ich noch Taxi gefahren bin, als ich noch kein Trockener Taxifahrer war, durfte man in meinem Taxi, ich habe das mehrfach erwähnt, zwar nicht telefonieren, dafür aber alles sagen - sogar die Wahrheit. Auch ein Julian Reichelt hätte das gedurft. Julian Reichelt, wer ihn nicht kennt, war bis Oktober vergangenen Jahres "Vorsitzender der Chefredaktionen und Chefredakteur Digital" bei Bild. Dann wurde er entlassen wegen "Vögeln, fördern, feuern", wie der Spiegel es nannte. Genau deswegen nehme ich den Bösewicht Julian Reichelt als Beispiel. Auch er hätte wie gesagt alles sagen dürfen in meinem Taxi, so wie er es in obigem Video tut, und ich hätte es mir angehört. Ich weiß, wie schwer zuhören mitunter sein kann, insbesondere wenn der Sprecher alles andere als ein Sympathieträger ist wie Julian Reichelt. Es ist richtiggehend Arbeit und man muss es auch üben. Nachdem ich Uber-Corona-bedingt meine Arbeit als Taxifahrer verloren habe, konnte ich das Zuhören weiter bei den Meetings der Anonymen Alkoholiker praktizieren. Auch dort sind mir nicht alle sympathisch gewesen, trotzdem habe ich sie ausreden lassen, habe ihnen zugehört und bin danach, vielleicht das schwerste überhaupt, aber nicht über sie herfallen, sondern habe von mir erzählt, von ihnen gar nicht. Genau das möchte ich meinen Lesern vorschlagen, sozusagen als Experiment. Wer kann, möge sich das, was Julian Reichelt zu sagen hat, anhören, und zwar komplett, ohne es zu bewerten. Auch danach nicht, sondern vielmehr schauen, was das gesagte mit einem macht und warum. Macht es etwas, weil Julian Reichelt es gesagt hat, oder gibt es einen anderen Grund? Und bin der Grund vielleicht ich selbst?
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