Nachdem mich meine ehemalige Bulgaristik-Dozentin von der Berliner Humboldt Universität und Leserin meines Blogs auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht hat, meine Texte bei „Open Source“, einem Angebot der Berliner Zeitung, zu publizieren, habe ich dort drei Texte eingereicht. Keiner von ihnen wurde veröffentlicht. Der erste Text enthielt der Berliner Zeitung zu viel Corona, beim zweiten Text erhielt ich keine Antwort und der dritte Text, den ich am Freitag eingereicht habe, enthält der Berliner Zeitung zu viel Krieg.
Der erste Text, der der Berliner Zeitung zu viel Corona enthielt, den ich schon vor dem Krieg in der Ukraine verfasst habe, hat den Titel „Vom Denken in Geld und dem Glauben an Gott“ und ist vor wenigen Tagen auf „Inskriptionen“, dem literarischen und essayistischen Blog des Leipziger Literaturverlags (LVV), erschienen.
Mein zweiter, aktueller Text, der der Berliner Zeitung jetzt zu viel Krieg enthält, hat den Titel „Hoffnung für Europa“. Ich veröffentliche ihn nachfolgend und mit Fotos von mir:
Hoffnung für Europa
Am 6. April hatte ich in der bulgarischen Hauptstadt Sofia Gelegenheit, mich auf dem Unabhängigkeits-Platz vor dem Ministerrat mit dem obersten Ordnungshüter zu unterhalten, der sowohl für das bulgarische Parlament als auch die bulgarische Regierung zuständig ist. Der landesweite von der Partei „Wiedergeburt“ organisierte Nationale Protest für die Neutralität Bulgariens im Ukraine-Krieg, der wieder 5.000 Menschen auf die Straßen Sofias gebracht hat, war kurz zuvor mit dem Erklingen der bulgarische Nationalhymne friedlich und ohne Zwischenfälle zu Ende gegangen.
Der Name des obersten sowohl für das bulgarische Parlament als auch für die bulgarische Regierung verantwortlichen Polizisten ist Georgi Alexejew. Ich hatte ihn bereits auf vorherigen Protesten gesehen und auch fotografiert. Seine polizeiliche Ordnungsnummer auf seiner schwarzen Uniform ist 241 333. Gerne hat er mir seinen Namen verraten und auch wiederholt, so dass ich ihn korrekt notieren konnte. Überhaupt ist Georgi Alexejew ein offener und freundlicher Mensch, der sich immer wieder mit den Frauen und Männern auf den Protesten unterhält.
Wie auf allen Protesten zuvor in diesem Jahr, so wurde auch auf dem am 6. April in der bulgarischen Hauptstadt keiner verhaftet und niemand verletzt. Masken und Abstände spielten keine Rolle, und es gab auch keine Polizisten in Kampfanzügen. Ein paar wenige Helme, Schilder und Gummiknüppel habe ich zwar auch an diesem Tag gesehen, aber nichts davon kam zum Einsatz. Dass dies so war, hat auch mit dem für das Parlament und die Regierung verantwortlichen obersten Ordnungshüter Georgi Alexejew zu tun.
Nachdem ich mich ihm kurz vorgestellt und erwähnt habe, dass ich aus Berlin komme, erfahre ich von ihm, dass er auch schon einmal in Berlin gewesen sei und Einblick in die Arbeit der dortigen Polizei bekommen habe. Diese wäre um einiges härter als in Bulgarien üblich, das sei ihm schnell klar geworden. Härte sei aber nicht sein Stil, er gehe lieber auf die Menschen zu, unterhalte sich mit ihnen. Das sei ihm das wichtigste.
Der Protest am 6. April 2022 richtete sich gegen die aktuelle Ukraine-Politik der amtierenden Regierung unter Kiril Petkow, die im Land keine Mehrheit hat. Wie auch, bei 60 Prozent Nichtwählern. Die Forderungen der Protestierenden an diesem Tag sind die Neutralität Bulgariens und der Rücktritt der amtierenden Regierung. Die Forderung, die Ukraine nicht militärisch zu unterstützen, sondern ausschließlich humanitär, wird von fast 70 Prozent der Bulgaren geteilt. Trotzdem beabsichtigt die Regierung unter Kiril Petkow weiterhin, der Ukraine militärische Hilfe zukommen zu lassen.
Viele Bulgaren befürchten, damit in den Krieg hineingezogen zu werden. Die Regierung solle sich an erster Stelle um die in der Ukraine lebenden Landsleute kümmern. Für nicht wenige ist der Krieg vor allem ein Krieg der USA und der NATO.
Es war bereits die fünfte Protestveranstaltung, bei der ich in Sofia zugegen war. Die letzte am 27. März 2022 war ein Rockkonzert für den Frieden in der Ukraine, auf dem praktisch jeder zweite Teilnehmer ein alkoholisches Getränk in der Hand hielt.
Auf allen anderen Protesten zuvor hat niemand Alkohol getrunken, und so auch nicht auf dem am 6. April. Hier hatten bei schönstem Sonnenschein und sommerlichen Temperaturen von um die 20 Grad einige nur eine Flasche Wasser dabei.
Alexejew erwähnte in unserem Gespräch, dass man in Bulgarien aufgrund der langanhalten Proteste der Jahre 2020 und 2021, also mitten in Corona, viele Erfahrungen gesammelt habe. In dem Zeitraum zwischen dem 9.Juli 2020 und dem 16. April 2021 gab es nicht nur in der bulgarischen Hauptstadt, sondern auch in anderen größeren Städten des Landes praktisch täglich Demonstrationen, die das Ziel hatten, die damalige Regierung unter Boiko Borissow zu stürzen, die als korrupt galt.
Auf einigen Demonstrationen war ich damals zugegen, auch sie verliefen allesamt friedlich. Es gab auch Demonstrationen, auf denen dies nicht der Fall gewesen war, und auf denen Polizisten auch in Bulgarien eine Kampfausrüstung, Helm und Schild trugen. Nur, wegen dem Nichttragen einer Maske oder dem Nichteinhalten eines Mindestabstandes wurde in Bulgarien selbst zu Corona-Zeiten niemand verhaftet. Sie wurden verhaftet, weil sie mit Gewalt eine gewählte Regierung stürzen wollte.
Diese hatte damals noch mehr Bulgaren hinter sich als die heutige. Trotzdem wurden die Proteste gegen sie im Westen weitgehend begrüßt. Die aktuellen Proteste gegen die amtierende Regierung unter Kiril Petkow werden dort dagegen nun unisono verdammt. Und noch etwas hat sich verändert. Hofften die Demonstrierenden damals auch noch auf Europa, so sind die aktuellen Proteste möglicherweise eine Hoffnung für den Kontinent.
Georgi Alexejew, der oberste sowohl für das Parlament als auch die Regierung Bulgariens zuständige Polizist, könnte eine solche Hoffnung sein. Am 6. April sprach er nicht nur mit mir, sondern auch mit Kostadin Kostadinow, dem Chef der Partei „Wiedergeburt“ und Anmelder der Demonstration. Was Alexejew und Kostadinow, die in dem kleinen Park hinter dem Parlament und am Rande des Protestes die Köpfe zusammensteckten, wie man so schön sagt, zu besprechen hatten, ist nicht bekannt.
Möglicherweise hat Alexejew Kostadinow daran erinnert, dass es eine ähnliche Situation wie die, die sich am 6. April anbahnte, schon einmal gab in Sofia. Im November 2013 löste die Polizei eine Blockade von Demonstranten auf, die das Gebäude umzingelt hatten, um Minister und Volksvertreter aus dem Parlament zu befreien, sie vor ihrem Volk zu schützen.
Alleine die Tatsache, dass sie sich ausgetauscht haben, ist ein großer Unterschied zu Deutschland, wo man es vorzieht übereinander zu reden als miteinander zu sprechen. Zuvor hatte Alexejew sich bereits mit einer Demonstrantin unterhalten und einem Ordner des Protestes mit einer Armbinde in den nationalen Farben weiß, grün und rot etwas ins Ohr geflüstert, dem er dabei geradezu zärtlich über die Schulter um den Hals fasste. Vermutlich hat er so Kostadinow wissen lassen, dass er mit ihm sprechen wolle.
Aber man spricht in Bulgarien nicht nur miteinander, sondern man kommt sich dabei auch zwangsläufig näher. Wahrscheinlich so nah, wie dies in Deutschland bis heute immer noch undenkbar ist, weil ohne Abstand, ohne Maske und ohne vorheriges Abfragen des Impfstatus. Der von Kostadinow, der den Impfstoff als „experimentelle Flüssigkeit“ bezeichnet, darf als bekannt angenommen werden, so denke ich.
Auch in Bulgarien ist die Polizei nah am Menschen, wenngleich auf einer etwas anderen Art und Weise als in Deutschland, wo Polizisten immer mehr ferngesteuerten Kampfmaschinen gleichen als Menschen aus Fleisch und Blut. Alexejews Credo „aufeinander zugehen – miteinander sprechen“ könnte nicht nur in Berlin und Deutschland hilfreich sein, sondern ebenso im Ukrainisch-Russischen-Bruderkrieg. Auf dem Protest wurden beide Völker als Brudervölker Bulgariens bezeichnet.
Kostadinow und mit ihm die Protestierenden zogen am 6. April bald nach dem Gespräch mit Alexejew vom Parlament zum ein Kilometer entfernten Regierungssitz, wo der oberste Ordnungshüter sie in bester Laune mit seinen Leute erwartete. Alexejew hatte offensichtlich kein Problem gehabt, den das Parlament umgebenden Park zu verlassen.
Auf dem „Machtdreieck“, wie der Platz vor der Volksversammlung, dem Sitz des bulgarischen Präsidenten und dem Ministerrat auch genannt wird, sprach Chef der Partei „Wiedergeburt“, Kostadinow, noch einmal zu den Protestierende, und auch zu den Polizisten, die im Normalfall ein Teil der Mehrheit sind, die seine Forderungen unterstützt: Neutralität Bulgariens und keine militärische Unterstützung der Ukraine.
Zum Schluss erklang die bulgarische Hymne „Liebe Heimat“, die die Demonstranten textsicher mitsangen und die sowohl die Protestierenden, als auch die Polizisten für einen Moment still stehen ließ – mit ihnen Georgi Alexejew.
Kurz darauf habe ich mit ihm gesprochen. Verabschiedet haben wir uns am Ende mit einem Handschlag.
Fotos&Text TaxiBerlin
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen