9.4.22

Bericht aus Bulgarien (105)



Seit gestern Abend bin ich nun ohne Wasser. Erst war nur der Wasserdruck weg, was ich mir anfangs damit erklärte, dass am Nachmittag Nachbarn aus Sofia gekommen waren, um das Wochenende in ihrem Haus zu verbringen. Dann wurde ich skeptisch und bin noch mal raus, um der Sache auf den Grund zu gehen.

Ich hatte den richtigen Riecher, bei Mitko an der Ecke sprudelte das Wasser nur so aus dem Boden. Mitko ist Busfahrer in der Hauptstadt und kommt nur alle paar Wochen nach Hause. Sonst wäre er es wohl gewesen, der das geplatzte Rohr vor seiner Toreinfahrt bemerkt hätte. Das Wasser sprudelte nur so heraus, als wäre jemand auf eine Wasserader gestoßen.

Sofort rief ich meinen Bürgermeister an, der meinte, dass man das heute nicht mehr reparieren könne, weil es zu spät sei, die Leute Feierabend hätten. Ich solle einen Damm errichten, der das Wasser ableitet, damit der Belag auf unserem Weg nicht sogleich wieder runtergespült wird.

Im letzten Jahr hatte mein Bürgermeister drei LKWs mit Resten von Bitumen herankarren lassen, die bei irgendwelchen Straßenbauarbeiten übrig geblieben waren, und die wir mit unseren Schaufeln und Schubkarren auf unserem Weg verteilt hatten.

Das ist ein reißender Strom, sagte ich ihm, da kann man keinen Damm bauen. Er würde kommen und sich das anschauen. Vorher kam ein Arbeiter von Wasser und Kanalisation (W&K) vorbei und meinte, dass das eine ernste Havarie sei und das halbe Dorf ohne Wasser. Ich sollte den Nachbarn bescheid geben, damit sie sich rasch Wasser abfüllen, bevor er es abstellt.

Als ich von den Nachbarn zurück kam, war mein Bürgermeister bereits dabei seinen Damm zu bauen. Gemeinsam haben wir es irgendwie geschafft. Dann ließ der reißende Strom auch schon nach. Heute soll der Schaden schon repariert werden. Danach kann ich den gemeinsam errichteten Damm wieder abreißen, hat mein Bürgermeister gesagt.

Mal sehen, wie ich das zeitlich hinkriege. Um 13 Uhr bin ich bei den Nachbarn zum Mittagessen eingeladen und später muss ich meinen Berliner Freund abholen. Von wo genau, weiß ich noch nicht. Er kommt um 14 Uhr mit dem Flieger aus Berlin in Sofia an und versucht mit den Öffentlichen so weit zu kommen, wie er kann. Dazu muss man wissen, dass die Öffentlichen in Bulgarien fahren wie sie wollen und Fahrpläne meist nur Vorschläge sind.

Vielleicht lasse ich meinen Freund den Damm einreißen, muss ja nicht heute sein. Mein Freund bringt nämlich seine Depression aus Deutschland, dem Land der Despressionen, mit. Aus meiner Erfahrung als Krankenpfleger und Taxifahrer weiß ich, dass Depressive beschäftigt werden müssen.

Mir wird schon irgendwas einfallen, wie ich ihm diese Arbeitsbeschaffungsmaßnahme verkaufe. Bisher ist mir immer was eingefallen. Bulgarien ist nicht nur das Land der geplatzten Rohre und Überraschungen, weswegen man besser keine Pläne macht, sondern auch das Land der guten Ideen und Einfälle.

Foto&Text TaxiBerlin

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen