In Bulgarien ist vieles anders und das meiste ist sogar umgedreht. Nicken die Menschen in Deutschland, wenn sie Ja sagen, so bedeutet diese Kopfbewegung beim Bulgaren Nein. Auch mit dem Nein sagen verhält es sich entgegengesetzt. Schüttelt der Deutsche den Kopf, wenn er etwas verneint, so bedeutet den Kopf zu wiegen, es ist kein richtiges Kopfschütteln beim Bulgaren, Zustimmung, allerdings nicht im typisch deutschen, also rechthaberischen Sinne: Du hast Recht!, sondern im sympathisch balkanischen Sinne: Was du sagst, gefällt mir! – Das ist ein großer Unterschied.
Beim Impfen und überhaupt bei der ganzen Corona-Problematik ist es ganz genauso. Ist in Deutschland die Mehrheit geimpft, so sind die Geimpften, die in Bulgarien „Die Gestochenen“ heißen, in der Minderheit. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass die Corona-Gläubigen unter dieser Minderheit „Der Gestochenen“ auch noch einmal eine Minderheit darstellen. Die allermeisten Bulgaren haben sich aus purem Opportunismus impfen lassen, in der Regel weil sie ansonsten ihre Arbeit verlieren würden, was sie auch ganz offen zugeben. In Bulgarien ist eben wirklich vieles anders.
Was auch anders ist, ist, dass es die meisten Wörter, die in Deutschland seit einiger Zeit Hochkonjunktur haben, selbst bei Öffentlich/Rechtlich, die mit dem Bildungsauftrag, kommt kaum eine Sendung ohne sie aus, in Bulgarien völlig unbekannt sind. Es sind dies die Begriffe: Coronaleugner, Verschwörungstheoretiker, Aluhut, Schwurbler, Covidioten und Querdenker. Die bulgarische Sprache kennt keinen dieser Begriffe, und das obwohl praktisch jeder Bulgare ein Querdenker und Schwurbler ist.
Das Querdenken ist, wenn man so will, ein Markenzeichen des Bulgaren, weil man ohne quer und um die Ecke zu denken in Bulgarien nicht weit kommt. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass manch deutscher Rechthaber und Besserwisser keinen Tag in Bulgarien überleben würde, eben weil er nicht querdenken kann. Auch wenn es den Begriff Schwurbler nicht gibt in Bulgarien, so sind doch alle Bulgaren praktizierende Schwurbler. Das sage ich nicht nur so, es stimmt wirklich. Mir ist das Wort Schwurbler, das ich bis vor kurzem noch nicht kannte, mittlerweile richtig ans Herz gewachsen.
Der Schwurbler ist regelrecht zu einem Mantra geworden für mich, das ich immer und überall vor mir her trage wie der Deutsche seine Schuld. Es kommt immer öfter vor, dass ich die Menschen hier sogar mit Schwurbler anrede – Sie verstehen’s ja eh nicht! Nein, sie freuen sich sogar noch, wenn ich Schwurbler zu ihnen sage, denn ich habe beim Aussprechen des Wortes Schwurbler immer ein Lächeln auf den Lippen.
Was es auch nicht gibt in Bulgarien, ist die richtige Haltung. Was sollte diese auch sein? Das, was die Mehrheit macht?, was in Bulgarien die Ungeimpften sind. Ganz nach der Devise des Deutschen: Millionen können nicht irren!? Dass dies nicht stimmt, hat die Geschichte bewiesen, insbesondere die deutsche. Die scheinen die Deutschen aber gerade vergessen zu haben, zumindest was ihre eigene angeht.
Was in Bulgarien genauso ist wie in Deutschland, ist, dass es um Leben und Tod geht, zugegeben nicht für alle, aber doch für so einige, und das jeden Tag auf’s Neue. Denn beim Leben geht es hier für viele ums nackte Überleben und nicht um Leben, zumindest nicht im deutschen Sinne: Ich lenke mich ab und konsumiere, also bin und lebe ich. In Bulgaren gilt: Das Leben ist keine fünf Stotinki wert!, was immerhin 2,5 Cent sind.
Was es auf jeden Fall gibt in Bulgarien, ist Mitgefühl. Mitgefühl gibt es in Bulgarien praktisch ohne Ende, aktuell insbesondere mit den Geimpften, die in Bulgarien wie gesagt „Die Gestochenen“ genannt werden und in der Minderheit sind. Sicherlich gibt es auch Schimpfwörter für sie, die man aber besser für sich behält, denn „Die Gestochenen“ sind bestraft genug und deswegen vor allem zu bedauern und nicht zu beschimpfen. So denkt die Mehrheit hier.
Und genau das wünsche ich mir auch für Deutschland, wo die Mehrheit geimpft ist. Habt mehr Mitgefühl mit denen, die sich nicht impfen lassen möchten. Behaltet auch alle Schimpfwörter für euch, ganz egal auf wen sie zutreffen mögen, und hört endlich auf die Minderheit zu beleidigen, sondern helft ihnen, wo ihr könnt. Und vergebt ihnen ihre Schuld, selbst wenn sie wissen sollten, was sie tun. Umgekehrt würdet ihr euch doch dasselbe wünschen, oder?
Foto&Text TaxiBerlin
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