30.11.22

Bericht aus Bulgarien (311) - "Wie viel muss ich wissen?

Und wie viel kann im Dunkeln oder im Nebel bleiben?

Wie viel muss ich wissen? Wie viel soll ich wissen? Wie viel Wissen ist gut für mich? - Das sind Fragen, die mich gerade umtreiben. Und sie treiben mich um, weil ich feststellen musste, dass viele Menschen, die zu tief in die Dinge eingestiegen sind, plötzlich Krankheiten entwickeln, Krebs haben, wieder mit dem Rauchen anfangen, mehr Alkohol trinken, sonstige Drogen konsumieren, andere Süchte entwickeln oder sich sogar das Leben nehmen. Für all dies gibt es Gründe, denn das, worin sie eingetaucht sind, ist alles andere als angenehm. Es geht dabei vor allem um das Wissen um Zusammenhänge, die Frage "Cui bono?", wobei es hilfreich sein kann, der Spur des Geldes zu folgen, insbesondere wenn die Dinge auf den ersten Blick unklar erscheinen, und um die Weisheit, dass der, der nichts weiß, alles glauben muss. Dies scheint mir auf immer mehr Menschen zuzutreffen. Das ist zumindest meine Beobachtung der letzten Jahre. Jemand Kluges sagte einmal, dass es die Zeit ist, in der man krank wird oder böse. So kann man es auch formulieren. Wer lieber dumm bleiben möchte, und das möchten so einige, ist so gesehen böse zu seiner eigene Intelligenz und infolge dessen auch zu seiner Würde als Mensch. Auch der bereits erwähnte Suizid ist eine böse Handlung sich selbst gegenüber. Es ist nicht gerade leichter geworden in den letzten Jahren, herauszufinden, wie viele Menschen sich das Leben genommen haben. Wer als Toter positiv auf Corona getestet wurde, ging und geht vermutlich immer noch in die "an, mit, im Zusammenhang mit Verstorbenen" der Corona-Statistik ein. Aber taucht er auch als Suizidaler auf? Da bin ich mir nicht sicher. Auch deswegen muss ich in letzter Zeit immer öfter an "Das Leben der Anderen" denken. Die Geschichte des Films ist die, dass ein Bühnenautor in der DDR einen Artikel für den Spiegel, ausgerechnet für den Spiegel, über die von der DDR-Regierung geheimgehaltene Zahl der Selbstmörder geschrieben hat. Übertragen auf das Hier und Heute wäre das ungefähr so, als schriebe einer einen Artikel über die Anzahl der Menschen, die sich infolge von Corona das Leben genommen haben. Die nicht das Glück hatten, eine zweite Heimat zu haben, in die sie gehen konnten. Die wie ich ihre Arbeit verloren haben, die wie ich Beleidigungen und Bedrohungen ausgesetzt waren, die keine Zukunft mehr gesehen oder auch "nur" den Druck, dem sie ausgesetzt waren, nicht mehr standgehalten haben. Es gibt diese Suizide - zweifellos. Aber wie viele sind es genau? Und will ich das wirklich wissen? Muss ich das wissen? Bin ich der richtige Mann dafür? Immerhin habe ich aus denselben Gründen, weswegen sie Hand an sich gelegt haben, das Land, das auch meine Heimat war, verlassen. Aber wenn ich morgen mitreden will, dann sollte ich es schon wissen, oder? Andererseits könnte ich auch gerade deswegen, weil ich weit weg war, der richtige sein, der zu dem Thema recherchiert, in persönliche Abgründe hinabsteigt, um genau darüber zu schreiben. Das würde dann auch die Frage danach beantworten, wie viel ich wissen muss und will. Aber was wäre danach? Würde es mich stärker machen? Oder auch krank? Oder böse? Oder gar tot, wie es mir als Ungeimpfter prophezeit wurde?

PS: Die Kneipenszene, ausgerechnet die Kneipenszene, von "Das Leben der Anderen" wurde in einer Lokalität in Berlin bei mir um die Ecke gedreht. Immer wenn ich zu den Treffen der Anonymen Alkoholiker gegangen bin, musste ich an ihr vorbei. Auch deswegen, aber nicht nur, habe ich immer noch diesen Film in meinem Kopf, obwohl ich nun schon seit eineinhalb Jahren in Bulgarien lebe.

Foto&Text TaxiBerlin

7 Kommentare:

  1. Neben der eigentlichen Frage "Was kann ich wissen?" fiel mir eine kleine Erzählung ein, die ich bei Anthony de Mello geselen habe. Diese geht so:

    Der junge Schüler war ein solchers Wunderkind, daß Gelehrte von überall her seinen Rat suchten und sein Wissen bestaunten.
    Als der Gouverneur einen Ragteber suchte, kam er zu dem Meister und sagte: "Sagt mir, stimmt es, dass der junge Mann soviel weiß, wie allgemein behauptet wird?"
    "Ehrlich gesagt", erwiderte der Meister trocken, "der Bursche liest so viel, dass ich mir nicht vorstellen kann, woher er die Zeit nimmt, irgendetwas zu wissen."

    In diesem Sinne wünsche ich mir mehr Erkennen und Wissen oder gar Erleben und Wissen. Am meisten jedoch mehr Wissensaneignung im Sinne von Transformation in eigenes Wissen und (Er-)Leben.

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  2. Danke, Achim, für den Hinweis. Ich würde sagen, das wäre sozusagen die Alternative, oder sogar das Bessere: nicht krank o.ä. zu werden, sondern das erworbene Wissen umzusetzen. Das Einfache, was so schwer zu machen. Und letztendlich ist auch dies eine Frage der richtigen Dosierung. Praktisch alle Arznei ist, falsch angewendet, auch ein Gift. So kann man auch die Schlange im Äskulapstab, dem Symbol der ärztlichen Kunst, interpretieren.

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  3. Anonym1.12.22

    Das ist in der Tat komplex. Mein councelor (roy)hat bei unserem letzten Treffen gesagt, die Zahl der Suizide sei unter Corona stark gestiegen. Ich konnte dann nur die ganz allgemeine Zahl des statistischen Bundesamtes abfragen und die hatten zu der Zeit nur die Daten von 2020 vorliegen, jetznachdem die Zahl im Vergleich zum Vorjahr sogar leicht zurückgegangen ist. Jetzt mag es anders aussehen. Was die aber ohnehin nicht berücksichtigen, ist die Zahl in bestimmten Alters- oder Berufsgruppen, wie z.b. Künstlern oder Menschen, die in der Gastronomie gearbeitet haben. On dem Zusammenhang meine ich gelesen zu haben, dass sich die Zahl der Suizidversuche unter Kindern vervierfacht hat. Misslungenen Versuche fließen da halt auch nicht mit ein, ebensowenig, inwiefern es sich hierbei bei einigen oder vielen um Suizide gehandelt hat https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/131-tote-unter-22-jahren-zahl-junger-drogentoter-hat-sich-seit-2019-mehr-als-verdoppelt-a-c9dc17b7-8bab-4d9c-88a9-236e9f2bfa03
    Wie gesagt, schwieriges Thema.
    Liebe Grüße
    Robert
    P.s. bin vor 2 Wochen am Auge operiert worden. Abgesehen von der schrägen Optik, die es mir unmöglich macht, länger zu lesen oder gar zu arbeiten muss ich auch einige Medikamente mit teils üblen Nebenwirkungen einnehmen, weil der Druck auf dem operierten Auge extrem hochgegangen ist. Müdigkeit, Übelkeit, Sehstörungen. Grad nicht witzig :-(

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  4. Lieber Robert, danke für deinen Kommentar. Freut mich, von dir zu hören. Das mit deinem Auge tut mir leid. Ich wünsche dir gute Besserung. Bei dem Thema musste ich auch an Dietrich denken. 11 Jahre war das auch schon wieder her Anfang November. Mit deinem Councelor hatte ich neulich auch ein längeres Telefonat. Ging aber um was anderes. Das mit dem Suizid als großes Thema bei Kindern habe ich auch in meinem Sucht-Text erwähnt. Hast du bestimmt gelesen. Gerade bin ich in Sofia. Bin schon gespannt, was mich heute Abend auf dem Event dieser Business-Plattform erwartet. Ist mein erstes überhaupt. In Griechenland musste ich immer mal wieder an dich denken, weil du die letzten Jahre dort Urlaub gemacht hast. Ich selbst war über zehn Jahre nicht in Griechenland gewesen. Hat mir extrem gut gefallen. Die Umstellung auf Bulgarien nach über einen Monat Griechenland war nicht einfach, auch wegen dem Wetter. Von der Sonne sozusagen in die Kälte. Und jetzt dieses nasskalte Grau in Grau. Das kann schon ziemlich runterziehen. Aber ich versuche, so wie Sorbas, mir deswegen keine grauen Haare wachsen zu lassen. In diesem Sinne beste Grüße von "Oben"! R

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  5. Anonym6.12.22

    https://www.heise.de/tp/features/OECD-Studie-zur-Pandemie-Lebenserwartung-in-der-EU-um-ein-Jahr-gesunken-7367052.html
    Zum Thema, irgendwie. Gruß, Robert

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  6. Lieber Robert, muss gerade an deinen vorletzten Kommentar denken, in dem du deine Augen-OP erwähnst. Hier berichtet eine Frau über ihre Symptome nach der Impfung, darunter auch eine Augen-Symptomatik. (https://youtu.be/P7DICTvx3n8)

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  7. Anonym7.12.22

    Interessant.

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