6.9.22

Bericht aus Bulgarien (282) - "Gestern auf dem 'Blasenmusikfestival'"

Ein Student meines Teams
(rückwärtige Ansicht)

Gestern war ich mit meinen Studenten auf dem "Blasenmusikfestival" im Nachbarstädtchen. Die Amerikanerin (auf Bulgarisch: "Amerikanka") in meinem Team machte aus der Blasmusik, für die unsere Region im Nordwesten Bulgariens bekannt ist, "Blasenmusik". Es gibt, wie du siehst, noch viel Arbeit für mich. Der nächste Fehler lag aber bei mir, und zwar dass ich - typisch deutsch - dachte, das "Blasenmusikfestival" ginge auch wirklich und genau um 17 Uhr los, nur weil auf dem Plakat 17 Uhr stand. Da hatte ich die Rechnung ohne den Bulgaren gemacht, der die Stunde, die er Deutschland voraus ist, ungenutzt verstreichen ließ. Oder, wenn man es positiv sehen will, der bei der Zeitangabe einfach die deutsche Zeit angibt. Nach bulgarischer Zeit begann das "Blasenmusikfestival" jedenfalls um 18 Uhr, das dann wiederum sogar nach deutschem Maßstab ausgesprochen pünktlich.

Der Solo-Eintänzer
(beim Warmtanzen der Tanzfläche)

Sogleich begann ich wegen der bulgarischen Zeit und meinem Verständnis, besser Unverständnis, für sie die Fehlersuche. Als halber Deutscher suchte ich den Fehler als erstes bei mir selbst, so wie ich die Schuld auch immer als erstes bei mir suche. Mein englischer Freund Jerry, der am liebsten ganzer Deutscher wäre, versuchte mich zu beruhigen, indem er auf meine Frage, was ich verkehrt gemacht habe, liebevoll auf Deutsch antwortete: "Du hast Recht!" - Ich muss, denke ich, nicht erklären, warum Jerry zu meinen Lieblingsschülern gehört, der mir gelegentlich sogar mit "Jawohl, mein Führer!" antwortet, was aber unter uns bleiben muss.

Filmische Dokumentation des bulgarischen Gewimmels
(durch einen Deutschen)

Joachim, der Deutsche in meinem Team, brachte sein Missfallen für die hiesige "Blasenmusik" mit der Bemerkung "Ich habe ausgehört" auf den Punkt. Das erinnerte nicht nur an das bekannte "Ich habe fertig" des Italieners Trappatoni, sondern Joachim konnte sich auch der Zustimmung meinen englischen Studenten Jerry sicher sein, der als professioneller Musiker an der Akustik (nicht an der Musik!) herumzukritteln hatte. - Nach gerade mal einer Stunde verließ ich mit meinem Team das "Blasenmusikfestival", das zu diesem Zeitpunkt gerade dabei war überhaupt loszugehen, indem sich vom Baby bis zur Oma alle zum traditionellen "Ringelpietz mit Anfassen", der auf Bulgarisch "Horo" heißt, auf der Tanzfläche einfanden, die zuvor vom Solo-Eintänzer vorbereitet worden war, der sie sozusagen warm getanzt hatte. - Als professioneller Teamleiter, dem der Wille seiner Studenten heilig ist, verließ auch ich den Ort des Geschehens, erlaubte mir aber immerhin die Frage aufzuwerfen, wann man ein solches Gewimmel zuletzt in deutschen, englischen oder gar amerikanischen Landen gesehen hat, also dass jung und alt sich an der Hand nehmend auf der Tanzfläche einfanden. - "Nicht zu Lebzeiten", so die ehrliche Antwort des deutschen Teilnehmers, der sich zuvor mit "It's not my music and now I know it more then ever!" in englisch versuchte, bevor er das erwähnte Gewimmel, von dem schon Goethe mit den Worten "Solch ein Gewimmel möcht' ich sehen!" schwärmte, nicht nur filmisch festhielt, sondern auch seinen eigenes Konzept an sich selbst ausprobierte, das da heißt: "Ich lasse lernen."

PS: Heute Mittag versuche ich nun mein Team auf's Neue lernen zu lassen, denn da sind wir beim Nachbarn zum Geburtstag eingeladen. In Bulgarien wird Geburtstag nicht am Abend, sondern mittags gefeiert. Auch in Sachen Geburtstag feiern ist beim Bulgaren nicht alles einfach nur anders, sondern ganz und gar umgedreht.

Fotos&Text TaxiBerlin

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