10.5.22

Bericht aus Bulgarien (133)


Taxis in der bulgarischen Hauptstadt Sofia

Ein Militärexperte meinte gestern im Bulgarischen Nationalradio „Christo Botew“, dass die von der amtierenden bulgarischen Regierung versprochene „militärtechnische Hilfe“ für die Ukraine ein Witz sei, weil man schon für die paar russischen Panzer und Migs im eigenen Land nicht genug Ersatzteile hätte. Schwer zu sagen, ob das mit den Ersatzteilen stimmt. Dass es nur eine Handvoll Panzer und Kampfflugzeuge russischen Fabrikats sind, über die die bulgarische Armee verfügt, das stimmt auf jeden Fall. Für mich ist vor allem interessant, wer und welche Themen zu Wort kommen im staatlichen bulgarischen Rundfunk, der ganz ohne Zwangsgebühren auskommt.

Vorhin ging es dort beispielsweise um die „Anti-Krisen-Maßnahmen“, die seit Ausbruch des Krieges die „Anti-Corona-Maßnahmen“ abgelöst haben. Da die „Anti-Krisen-Maßnahmen“ unten nicht ankommen, möglicherweise weil sie oben gar nicht ernst gemeint sind, werden gerade Straßen blockiert in Bulgarien, und zwar von der Transportbranche, zu der auch das Taxigewerbe gehört, der man angesichts der hohen Spritpreise Hilfen zugesichert hatte.

Um Corona geht es praktisch gar nicht mehr. Das Wort „Anti-Corona-Maßnahmen“ habe ich schon ewig nicht mehr gehört. Das Virus scheint Winterschlaf zu machen, und das mitten im Sommer. Immerhin ist gestern noch ein Bulgare an, mit oder im Zusammenhang mit Corona verstorben. Auf den bulgarischen Straßen haben an dem Tag mit Sicherheit mehr Menschen ihr Leben verloren. 

Am Mittwoch nächster Woche, der 18.Mai, will die Transportbranche den Verkehr auf sämtlichen Straßen in allen Orten des Landes lahm legen, aber nicht um dort Leben zu retten, sondern aus Protest gegen die nicht ankommenden „Anti-Krisen-Hilfen“ im Rahmen der „Anti-Krisen-Maßnahmen“. Möglicherweise bahnt sich in Bulgarien gerade ein ähnliches Szenario an wie neulich in Kanada.

Die bulgarischen Trucker und Taxifahrer sind aber keine „Corona-Maßnahmen-Kritiker“, sondern „Krisen-Maßnahmen-Kritiker“, wobei es bei einer Impfquote von 30 Prozent große Schnittmengen geben dürfte. Ganz genau sind sie keine „Krisen-Maßnahmen-Kritiker“, denn sie kritisieren nur, dass die von der Regierung im Rahmen der „Anti-Krisen-Maßnahmen“ versprochene Hilfen nicht bei ihnen ankommen. Die bulgarischen Trucker und Taxifahrer sind also in erster Linie „Regierungs-Politik-Kritiker“.

Einer Regierung, deren Tage möglicherweise gezählt sind, geht es nach der Diagnose eines Politikpsychologen, der ihr neulich noch „völlige Verblödung“ (auf bulgarisch: „pülen kretinism“) attestiert hat, und der deswegen mit Neuwahlen noch in diesem Monat rechnet. Auch das im Bulgarischen Nationalradio „Christo Botew“.

Dort spricht gerade ein Soziologieprofessor, der meint, dass 99 Prozent der Menschen gar nicht mitkriegen würden, was gerade passiert – Stichwort: „The Great Reset“. Ich dachte, ich hätte mich verhört, weil mir 99 Prozent etwas viel vorkam, aber der Professor wiederholt jetzt die Zahl noch einmal und sagt dazu, dass er nicht nur Bulgaren, sondern alle Menschen meint, und dass das schon immer so war, was mich irgendwie beruhigt.

PS: Während ich diesen Bericht schreibe, wird im Radio der geplante Beitritt Bulgariens zum Euro diskutiert, wogegen jetzt plötzlich alle sind, sowohl die Anrufer als auch die Moderatorin. Die Frage ist, ob der Grund die steigende Inflation in der Euro-Zone oder in Bulgarien ist. In dem Zusammenhang höre ich gerade einen neuen Begriff: „Anti-Inflations-Politik“. Ich persönlich halte die Frage, wo die Inflation höher ist, in der Euro-Zone oder in Bulgarien, für marginal. Aber sie ist wohl wichtig, um später dem anderen den Schwarzen Peter fürs ewige Gelddrucken (Stichwort: „Eurorettung – koste es, was es wolle“, und wenn es eine Inflation ist) zuschieben zu können, denn Schuld sind bekanntlich immer die anderen.

PPS: Meinen Bericht überarbeitend höre ich gerade noch von einem neuen Cocktail mit dem Namen „Long Covid“ – „For ever Lockdown“ gab es vorher schon. Auch wenn beide Cocktails für mich als trockener Taxifahrer uninteressant sind, rechne ich mit weiteren Wortschöpfungen wie „Inflationäre Stagflagtion“ und den „Eine Milliarde Lewa Cocktail“. Ich selbst bleibe bei Mineralwasser, dass ich mir Downtown bei mir im Dorf selbst und umsonst abfülle.

PPS: Parallel zu meinem Bericht schreibe ich an einem „Businessplan“ fürs Berliner Arbeitsamt. Mit seiner Hilfe, ich hoffe, es gibt sie noch, will ich „Desillusionist“ zu werden

Foto&Text TaxiBerlin

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