3.4.22

Bericht aus Bulgarien (99)


Geimpft gegen Krieg

Am kommenden Mittwoch gibt es um 12 Uhr in der bulgarischen Hauptstadt zwischen dem Parlament und dem Denkmal „Zar Befreier“ einen weiteren nationalen Protest, diesmal für die Neutralität Bulgariens und gegen die amtierende Regierung unter Kiril Petkow, die nicht nur keine Mehrheit im Land hat, sondern die sich darüber hinaus aktuell nicht sicher ist, ob sie sich nun durch die Nato in einen Krieg gegen Russland hineinziehen lassen soll oder nicht. Ich werde mittels Fahrgemeinschaft nach Sofia kommen, das habe ich heute geklärt, und ich freue mich schon darauf.

Aber was muss ich gerade wieder in der Süddeutschen über Bulgarien lesen: „Eine klare Haltung zum Krieg in der Ukraine fällt dem Land schwer.“ – In der Heimat muss man offenbar immer noch Haltung zeigen, so wie man dort immer noch Maske trägt, obwohl man es gar nicht mehr braucht. Die Folgsamkeit des Deutschen ist durchaus beeindruckend. Da auch in mir ein Deutscher steckt, komme ich manchmal durcheinander, denn in Bulgarien ist immer alles umgedreht. Also was ist jetzt eine klare Haltung? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Und ist Neutralität überhaupt eine Haltung? Immerhin ist die Schweiz neutral. Offensichtlich geht das. Aber ist Neutralität auch die richtige Haltung? Ich bin mir nicht sicher. Neutral zu sein soll auf jeden Fall Russenfreundlich sein in diesen Tagen, besonders wenn es blöde Bulgaren betrifft. Nur, dann müsste die Schweiz heute Russenfreundlich und im letzten großen Krieg sogar Nazifreundlich gewesen sein. Aber ist das wirklich so?

Sicher scheint mir zu sein, dass der Krieg in der Ukraine kein Bündnisfall ist, denn die Ukraine ist kein Nato-Mitglied. Militärische Neutralität ist in dem Fall nicht nur das Gebot der Stunde, sondern logische Konsequenz. Kriegstreiber gibt es nicht nur in Moskau, sondern auch in Washington. Völkerrechtswidrige Angriffskriege haben auch amerikanische Präsidenten und die Nato geführt. Die Bombardierung des Nachbarlandes Serbien in den Neunzigern war ein solcher Krieg. Die Chinesische Botschaft in Belgrad bekam dabei einen Treffer ab, es gab Menschenleben zu beklagen. Ich kann mich an diesen Krieg gut erinnern, denn man musste damals über Rumänien fahren. Noch Jahre später ist man als Deutscher besser nicht durch Serbien gefahren. Einmal habe ich es doch getan. Auf den Straßen Belgrads sah ich sie, ausgemergelte bettelnde Kriegsinvaliden auf ihren Krücken. Sie klopften auch an unsere Fenster. Das hat gereicht. Auch jetzt ist die serbische Grenze nicht weit. Keine zwanzig Kilometer.

Der Ukrainische Präsident versucht nun schon seit Wochen und mit allen Mitteln eine globale Drohkulisse, die Bedrohung Europas durch den Russen, womöglich der ganzen Welt durch Putin persönlich, aufzubauen. Das ist sein gutes Recht. Und jeder, der sich jetzt vom Russen bedroht fühlt, möge in den Krieg ziehen. Ich persönlich halte es mit in den Krieg ziehen, wie ich es mit der Impfung halte. Jeder, der gerne an der Nadel hängt, soll sich impfen lassen. Ich habe nichts dagegen. Im Gegenteil, ich bin für eine freie Impfentscheidung und alles andere als ein Impfgegner. Gegen Krieg beispielweise bin ich geimpft worden. In Serbien. Ansonsten bin ich clean und möchte es auch bleiben.

In den Krieg werde ich also nicht ziehen. Aber ich werde auch niemanden aufhalten in den Krieg zu ziehen. Das geht auch gar nicht. Ich empfehle aber jedem, der in den Krieg ziehen möchte, vorher die Lektüre von „Ich dachte, ich muss jetzt sterben“ in der Berliner. Der Artikel ist, so denke ich, eine gute Vorbereitung auf den Krieg. Und möglicherweise ist der Krieg auch schon in der Heimat angekommen.

Foto&Text TaxiBerlin

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