17.3.22

Bericht aus Bulgarien (85)

Todesanzeige auf Anzeige für totes Huhn

Nachdem ich am Sonntag mit einem depressiven Bekannten in Berlin telefoniert hatte, habe ich gestern mit einer Frau in der Heimat gesprochen, die ich nun auch schon wieder gut zehn Jahre kenne. Ich habe erfahren, dass sie sich aktuell geboostert hat. Dass sie sich hat impfen lassen, wusste ich schon. Sie sagte, sie hat sich boostern lassen, nicht weil sie an die Impfung glaubt, sondern weil sie reisen möchte. Die Vorstellung, nicht reisen zu können, hat ihr nicht nur Angst gemacht, sondern sie regelrecht in Panik versetzt. Ich wusste sofort genau, was sie meinte. In der DDR durften wir auch nicht reisen, wie wir wollten, und trotzdem war es irgendwie einfacher, als es jetzt ist. Viele fragen sich heute noch, wie die DDR so lange existieren konnte, warum die Leute das mitgemacht haben. Spätestens jetzt sollte es auch dem letzten klar sein. Die meisten haben damals mitgemacht, nicht weil sie daran geglaubt haben, sondern weil sie ihre Ruhe haben wollte. Die allermeisten waren Mitläufer, so wie heute die meisten Zeugen Coronas sind. Nur ein kleiner harter Kern hat wirklich daran geglaubt, so wie jetzt auch nur eine verschwindend kleine Gruppe von Coronazis den ganzen Quatsch glaubt, den man ihnen erzählt. Der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus, bei dem die DDR der BRD vorweg ging, wurde damals übrigens auch wissenschaftlich begründet – so wie heute die Impfung. Damals von Funktionären, heute von Virologen. Die Frau in Berlin, mit der ich gestern telefoniert habe, weiß das nicht. Zum einen, weil sie noch nicht so alt ist, und zum anderen, weil sie tief im Westen groß geworden ist. Deswegen glaubt sie auch immer noch, dass der Booster die letzte Impfung für sie war. Leider konnte ich ihr da wenig Hoffnung machen, im Gegenteil. Immerhin, reisen kann sie erst einmal wieder. Aber ich auch. Gestern war ich zum Beispiel in der nächstgrößeren Stadt Vraca. Die Stadt Vraca, deren Einwohner ich auch schon mal war, ist dafür bekannt, dass dort nicht mal die Krähen landen würden. Außerdem sollen die Frauen dort besonders schlimm sein, was irgendwie mit der Krähengeschichte zusammenhängen soll. Trotzdem fahre ich immer wieder gerne nach Vraca. Gut, ich war in Schottland, in Kalifornien und auch in Litauen. Aber am Ende finde ich alles in Vraca, und nicht nur Krähen, sondern beispielsweise auch einmalige Todesanzeigen auf Anzeigen für totes Huhn. Und wenn ich es nicht in Vraca finde, dann in Montana, der anderen nächstgrößere Stadt neben Vraca. Ich habe jedenfalls die Auswahl. Und wenn ich weder nach Vraca noch nach Montana fahren will, kann ich nach Sofia oder an die Donau fahren, auf den Berg steigen oder in den Wald gehen, mir einen Esel zum Wandern ausborgen oder meinen Freund Jerry im Kurort mit oder ohne Krähen treffen. Was will ich mehr?!

Foto&Text TaxiBerlin

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