26.2.22

Bericht aus Bulgarien (57)

Am Mittwoch vor dem Ministerrat in Sofia

Auch wenn es so aussieht, als würde die Journalistin des Fernsehsenders NOVA, die regelmäßig über die zunehmenden Proteste auf den Straßen von Sofia berichtet, von der Polizei abgehört werden, so darf sie ganz ohne richtige Haltung über das dortige Geschehen berichten. Am Montag waren hier die Feuerwehrmänner unterwegs, am Dienstag die staatlichen Museen und Galerien und am Mittwoch immerhin 3.500 Protestierende, die in der Heimat als Schwurbler, Verschwörungstheoretiker, Coronaleugner, Impfgegner, Aluhüte und Nazis bezeichnet werden, wofür ich mich immer wieder nur aufs Neue schämen kann. Noch einmal zu Erinnerung: Der Protest verlief absolut friedlich, es wurde niemand verhaftet, Polizisten trugen ganz normale Kleidung und keine Kampfausrüstung, vor allem kaum Masken, genauso wie die Demonstranten, Gummiknüppel kamen nicht zum Einsatz und auch Wasserwerfer wurden nicht gesichtet in der bulgarischen Hauptstadt. Im Gegensatz, Ministerpräsident Petkow sprach zu seinen Landsleuten, wie er sie nannte, die in der Heimat wie gesagt allesamt als Schwurbler, Verschwörungstheoretiker, Coronaleugner, Impfgegner, Aluhüte und Nazis durchgehen, und sagte ihnen, dass ihm ihre Kritik wichtig sei, und dass man miteinander reden müsse, immerhin gäbe es nur 6,5 Millionen Bulgaren. Er sprach in dem Zusammenhang ausdrücklich von "Volk" und nicht von "Bevölkerung". Wo man noch nicht mitbekommen hat, dass es sich bei den Protestierende nicht um Schwurbler, Verschwörungstheoretiker, Coronaleugner, Impfgegner, Aluhüte und Nazis handelt, ist die amerikanische Botschaft in der bulgarischen Hauptstadt. Sie warnt ausdrücklich davor, an diesem Tag einen Fuß auf die Straßen von Sofia zu setzen. Und jetzt frage ich mich, ob das der Grund ist, dass Journalisten ihre Berichte im Home-Office verfassen, nicht mit den Menschen sprechen wie der bulgarische Minbisterpräsident es am Mittwoch getan hat, und deswegen, sozusagen aus Gewohnheit, immer wieder mantraartig Schwurbler, Verschwörungstheoretiker, Coronaleugner, Impfgegner, Aluhüte und Nazis wiederholen müssen. Vielleicht sollten Journalisten insbesondere in der Heimat grundsätzlich einfach weniger auf Amerikaner hören, und auch den Polizisten sollte dort irgendjemand sagen, dass kein Mensch das Recht hat zu gehorchen, auch Polizisten nicht. Ministerpräsident Petkow hat seit Montag ein anderes, neues Mantra: Am 20. März ist Freedom-Day in Bulgarien. Der Genesenenstatus, der dann der Vergangenheit angehören wird, gilt übrigens immer noch ein ganzes Jahr hier.

Foto&Text TaxiBerlin

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