Neulich war ich im Goethe-Institut in Sofia eingeladen. Das Institut hat mir eine Karte aus eigener Produktion zukommen lassen, auf der vorne eine Grafito drauf ist, das in Sofia aufgenommen wurde. Beim Goethe-Institut hat man, was Postkarten angeht, dieselbe Idee, die ich mit meinen beiden Büchern des bulgarischen Klassikers Aleko Konstantinow hatte. Auf beiden von mir beim Wieser-Verlag herausgegeben Büchern, also sowohl auf „Nach Chicago und zurück“ als auch bei „Bai Ganju der Rosenölhändler“ ist vorne auf dem Cover ein Grafito drauf, das ich in den Straßen Sofias fotografiert habe, in meinem Fall in der Ljuben Karawellow Straße nahe dem Wassil Lewski Stadion.
Das Goethe-Institut wusste meine Adresse in „irgendeinem Dorf“, so der O-Ton einer Mitarbeiterin des Instituts später im Gespräch, weil ich der Bibliothek eines meiner beiden Bücher zuvor mit der bulgarischen Post zukommen lassen habe. Das zweite von mir herausgegebene Buch brachte ich dem Institut dann persönlich vorbei und fragte bei der Gelegenheit gleich nach Arbeit, weil deswegen bin ich in Bulgarien. Arbeit gibt es auch im Goethe-Institut für mich nicht, was auch besser so ist, weil ich mir dann noch eine Bleibe in Sofia hätte suchen müssen, und ich überhaupt kein Fan von dieser Stadt bin. Das liegt daran, dass Sofia voll ist von Provinzlern, die lieber auf ihrem Dorf wären, wenn es dort Arbeit für sie geben würde – immerhin haben sie sich nicht ins Ausland evakuiert. Bei mir ist es gleich, wo ich bin. Es gibt weder in Sofia noch in „irgendeinem Dorf“ für mich Arbeit.
Wenn das Goethe-Institut schon keine Arbeit für mich hat, so hält es doch Bücher oder besser Medien für mich zum Ausleihen bereit. Meine Anmeldung in der Bibliothek erfolgte problemlos, und ich konnte mir auch gleich sieben Bücher (nicht die von mir herausgegebenen, die kenne ich schon!) und fünf DVDs, also insgesamt zwölf Medien, ausleihen und mit auf mein Dorf nehmen. Heute hatte ich bereits drei Bücher gelesen und mir zwei Filme angesehen. Eins von den Büchern ist von Ilija Trojanow, hat den Titel „Der überflüssige Mensch“ und ist 2013 beim Residenz-Verlag erschienen. Es gibt auch eine Taschenbuchausgabe von dtv, ich habe sie neulich noch in meinem Berliner Bauchladen verkauft. Es ist einige Zeit her, dass ich Ilijas Buch gelesen hatte, so dass ich es beim Goethe-Institut ausgeliehen habe, um es jetzt noch einmal zu lesen.
Aber was muss ich da gleich auf Seite 21 erfahren: „Der noch reichere Bill Gates propagiert eine weniger drastische Reduktion der Menschenzahl. In einer Rede aus dem Jahre 2010 schätzt er, dass durch ‚neue Impfstoffe und bessere Gesundheitsversorgung, vor allem im Bereich der Fortpflanzung’ die Weltbevölkerung, die in absehbarer Zeit auf neun Milliarden anwachsen werde, um zehn bis fünfzehn Prozent verringert werden könnte. Das ist eine erstaunliche Aussage, denn medizinische Fortschritte führen zwar tatsächlich zu einer Bremsung des Bevölkerungswachstums – ebenso wie soziokulturelle Entwicklungen wie etwa bessere Bildung für Frauen (siehe das Beispiel des indischen Bundesstaates Kerala) oder weitverbreiteter Wohlstand (siehe etwa die skandinavischen Länder) –, keineswegs aber zu einer drastischen Schrumpfung der Bevölkerung um eine Milliarde. Man könnte diese Mildmädchenrechnung als exzentrische Verirrung eines unermesslich wohlhabenden Individuums abtun, wäre die Bill & Melinda Gates Foundation nicht zweitgrößter Geldgeber der WHO (Weltgesundheitsorganisation), die sich zudem ausgedungen hat, über die Verwendung der gespendeten Mittel eigenmächtig zu entscheiden, und hätte diese Stiftung nicht nur massiv im Monsanto-Aktien investiert, sondern auch ein Projekt mit dem Agrarkonzern Cargill initiiert, um in Mosambik genmanipuliertes Saatgut zu etablieren, gegen starken Widerstand der Einheimischen, die sich auch weigerten, genmanipulierte Nahrungsmittel von USAid anzunehmen, aus der Erkenntnis heraus, dass sie in die Abhängigkeit von Großkonzernen getrieben werden. Da weder Monsanto noch Cargill die Interessen afrikanischer Kleinbauern im Auge haben, sondern allein die immensen Profite, die sich mit Hightech-Landwirtschaft und Marktmanipulation machen lassen, wäre der Weg vorgezeichnet, wie das Plansoll einer Bevölkerungsverringerung um bis zu fünfzehn Prozent erfolgreich bewältigt werden kann: durch eine globale Kontrolle über die Nahrungsmittel, die nur für jene vorgesehen sind, die eine wertvolle Funktion ausfüllen oder über eine gedeckte Kreditkarte verfügen.“
Ich habe gar keine Kreditkarte, genauso wie ich keine Arbeit habe, aber darum geht es jetzt nicht. Es geht um die Frage, ob Ilija Trojanow ein Verschwörungstheoretiker ist, um genau zu sein ein „früher“ Verschwörungstheoretiker, denn er hat das Buch „Der überflüssige Mensch“ von knapp zehn Jahren geschrieben. Je mehr ich über diese Frage nachdenke, desto klarer wird mir, das Verschwörung der verkehrte Begriff ist, denn eine Verschwörung findet immer im Geheimen statt. Das ist bei dieser Verschwörung nicht der Fall ist, weswegen ich auf den Begriff der „Öffentlichen Verschwörung“ gekommen bin. Ob dieser Widerspruch logisch möglich ist, rein praktisch ist er es offensichtlich, sei für den Moment dahin gestellt. Unabhängig davon scheint mir nunmehr festzustehen, dass auch Verschwörungstheoretiker der völlig verkehrte Begriff ist, denn alles ist mehr oder weniger Öffentlich, beispielsweise die schöne neue Welt eines Klaus Schwab mit dem Titel „Der große Umbruch“. Wenn überhaupt, müsste man von „Öffentlichen Verschwörungstheoretikern“ oder von „Theoretikern einer öffentlichen Verschwörung“ reden, wobei in dem Fall der Theoretiker nun wirklich falsch ist, denn es gibt diese Aussagen von Bill Gates und das Buch von Klaus Schwab.
Richtiger wäre „Öffentlichmacher einer öffentlichen Verschwörung“ oder „Veröffentlicher einer öffentlichen Verschwörung“. Aber ich will mich nicht mit Wörtern und Namen aufhalten, sondern mich lieber fragen: „Was tun?“ – Auch darauf hat Ilija Trojanow in seinem Buch „Der überflüssige Mensch“ eine Antwort, und zwar auf Seite 85: „Selten halten wir inne, nehmen eine Auszeit von einem rasanten Alltag aus Pflicht und Unterhaltung, sitzen am Ufer oder schwingen auf der Schaukel, der Kontemplation zugetan oder einfach nur dem Nichtstun. Mit unserem Zeitvermögen gehen wir verschwenderischer um als mit unserem Geld. ‚Das wäre schön, aber leider habe ich dafür keine Zeit’, dient uns als (faule) Entschuldigung. Gewiss, wer sich an zwei Jobs klammern muss, um seine Kinder zu ernähren, wird wenige Minuten zur freien Verfügung haben, aber die meisten von uns ziehen es vor, die vorhandene Zeit anders zu investieren, wie die Einschaltquoten allwöchentlich dokumentieren. Es würde sich lohnen, denn aus kontemplativer Sicht wirkt das Selbstverständliche des Alltags oft lächerlich oder erniedrigend.“
Foto&Text TaxiBerlin
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