20.11.20

Leben in Zeiten von Corona - Heute: Erfahrungen eines Berliner Nichtmaskenträgers in den Öffentlichen und anderswo


Reinhardstraße 52 / früher Mitte / heute Neue Mitte

Gestern war ich in Tiergarten beim Augenarzt. Normalerweise muss man Monate auf einen Termin beim Augenarzt warten. In Corona-Zeiten ist auch das anders. Vorgestern hatte ich wegen dem Termin angerufen, und gestern hatte ich ihn bereits. Der Zustand meiner Augen ist altersgerecht, so die Augenärztin. Um genaueres zu erfahren, könne ich einen Scan machen lassen, den ich aber selber bezahlen müsste, Kostenpunkt: 99 €. Sollte man da etwas finden, dann könne man da aber nichts machen. Vielleicht aber doch, wenn man Geld hat, wie das heute mit immer mehr Dingen ist. (Auch hierzulande gilt seit einiger Zeit die Balkanweisheit: "Wenn du Problem hast, was du nicht lösen kannst mit Geld, kannst du nur lösen mit viel Geld!") Da ich kein Geld habe, habe ich keinen Scan machen lassen und war nach einer Corona-Rekordzeit von nur zwanzig Minuten wieder draussen gewesen. Da ich mich nicht in die Öffentlichen zwängen wollte, entschloss ich mich ein Stück zu laufen. Dass ich überhaupt mit den Öffentlichen gefahren bin, lag daran, dass ich kein Taxi mehr fahre, und ich nicht mit dem Fahrrad nach Tiergarten wollte, was ich jetzt ein klein wenig bereute (aber nicht wirklich), denn die Öffentlichen scheinen mir ein pandämisches Ansteckungsgebiet erster Güte zu sein. Dazu gleich mehr, für den Moment so viel: Auch ohne Maske habe ich keine Angst mich anzustecken. Denn ich habe neulich im Wartezimmer bei meiner Hausärztin, ich hatte hier darüber geschrieben, im ehemaligen Nachrichtenmagazin aus Hamburg gelesen, dass hierzulande in meiner Altersgruppe nur 19 von einer Million Einwohner an (und vermutlich auch "nur" mit) Corona sterben. Die Zahl stammt vom Robert Koch Institut. Man muss nur lesen können, also auch Zahlen. Trotzdem bin ich nach meinem Besuch beim Augenarzt erstmal ein Stück spazieren gegangen, und da kam ich an der Schuldenuhr vom Bund der Steuerzahler in der Reinhardstraße vorbei. Dort musste ich erfahren, dass wir mit jeder Sekunde 10,424 € neue Schulden anhäufen. Ich stellte mir vor, dass das meine Schulden wären, und dass es mit meinen Schulden ebenfalls nur eine Richtung geben würde, und zwar immer mehr Schulden, weil ich kein Geld habe, meine Schulden zu bezahlen, weswegen ich ja auch keinen Scan bei der Augenärztin habe machen lassen. Das hätte ich besser nicht denken sollen, denn ich kam zu dem Schluss, dass mir dann nichts weiter übrig bliebe, als mir irgendwann den Strick zu nehmen. Aber was im Kleinen nicht funktioniert, kann auch im Großen nicht funktionieren, also ein System, das permanent Schulden anhäuft. So dachte ich, und ich entschloss mich zum Bahnhof Friedrichstraße zu laufen und mir dort auf den Schreck erstmal ein Matjes-Brötchen zu gönnen, auch weil ich mir das noch leisten kann ohne mich gleich zu verschulden und Fisch gut für die Augen ist und möglicherweise auch gegen Corona hilft, wenn man es sich nur lange genug einredet. Es ist schwer, in unserer Stadt ein gutes Matjes-Brötchen zu finden. Meist ist bereits das Brötchen richtig schlecht, wie beispielsweise am Bahnhof Friedrichstraße, dafür schmeckt der Matjes dort noch nach Matjes. In Amerika hat Fisch gar keinen Geschmack mehr, das mögen die Amerikaner nicht, wenn der Fisch nach Fisch schmeckt. Ich hatte kaum aufgegessen, da wurde ich schon von einem jungen Mann aus Polen nach Geld gefragt. Bevor ich ihm sagen konnte, dass ich mein letztes Geld gerade in ein Matjes-Brötchen, wo das Brötchen ganz schlecht war, aber das Matjes immerhin nach Matjes geschmeckt hat, angelegt habe, war bereits die Polizei, dein Freund und Helfer, bei uns, um mich darauf hinzuweisen, dass im Bahnhofsgebäude die Maskenpflicht gilt. Daraufhin holte ich meine Maskenbefreiung hervor, und während die Polizistin den ärztlichen Attest studierte, sagte ihr Kollege dem jungen Mann aus Polen, dass Betteln und Hausieren hier verboten seien, und dass er seine Maske richtig aufsetzen solle. Im nächsten Moment stand ich ganz alleine im Bahnhof Friedrichstraße, sowohl der junge Mann aus Polen, als auch die beiden Polizisten, hatten sich getrollt. Das machte mir Mut, und ich entschied mich, noch in ein Kaufhaus zu gehen. Dort kam ich ohne Maske allerdings nicht rein. Auf Nachfrage sagte man mir, dass meine Maskenbefreiung, also der offizielle Attest meiner Hausärztin, hier nicht gelten würde, hier gelte das Hausrecht, wohl besser Faustrecht. Und so wurde nichts aus meinem Besuch im Kaufhaus, was letztendlich auch besser so war, weil ich ja gar kein Geld fürs Kaufhaus habe. Man hat mich also nur vor mich selber geschützt, damit ich keine Schulden mache. Mit dem Impfen könnte es ähnlich kommen. Vielleicht wird es wirklich keine offizielle Pflicht geben, aber ohne Impfung komme ich dann mancherorts gar nicht mehr rein oder kann bestimmte Jobs gar nicht mehr ausüben, weil der Hausherr dort das Sagen hat, und dem meine Maskenbefreiung genauso wenig interessiert wie die offizielle Behauptung, dass niemand zum Impfen gezwungen wird. Zurück von der Friedrichstraße in den Friedrichshain bin ich wieder mit den Öffentlichen, die jetzt wegen rush-hour richtig schön voll waren - der ideale Ort sich Corona zu hohlen. Aber wie gesagt, ich habe keine Angst, denn ich kann Zahlen lesen. Und ausserdem hätte es auch hier schlimmer kommen können, und das kam es auch schon: Früher im Osten, da sagten wir beispielsweise, dass wir lieber Aids hätten als gar nichts aus dem Westen. OK, das war ein Witz gewesen und nicht ganz Ernst gemeint - ein klein wenig aber schon. Aber lass mich noch einen Moment bei den Öffentlichen bleiben. Ich wurde dort gestern von niemandem angesprochen, warum ich keine Maske trage. Als Frau würde man deswegen öfters angesprochen werden, und das dann auch schon gerne Mal aggressiv, habe ich mir sagen lassen. Unabhängig davon verstehe ich nicht, warum die Öffentlichen nicht längst geschlossen sind. Gibt es einen Ort, wo fremde Menschen enger zusammen kommen? Darüber erfährt man wenig in unseren Medien, und auch über die Zunahme der Suizide seit Corona. Offiziell gibt es sie nicht. Auch das hatten wir schon mal. Der ein oder andere erinnert sich: Das ist die Geschichte von "Das Leben der Anderen". Du glaubst mir nicht? Dann schreib heute einen Bericht über das Thema "Suizid in Zeiten von Corona" und versuch ihn wie in dem Oscarprämierten Film beim ehemaligen Nachrichtenmagazin aus Hamburg unterzubringen - Viel Glück!

wünscht TaxiBerlin

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