9.6.24

Leaving Berlin (043)


Auch in Bulgarien wird heute gewählt, allerdings nicht nur für das Europa-, sondern auch für das bulgarische Parlament. Es ist die sechste Wahl in drei Jahren. Bereits in der Vergangenheit saßen Transatlantiker hier nicht nur im Parlament, sondern auch in der Regierung. Der bulgarische Präsident Rumen Radev hat sie vor wenigen Tagen "selbsternannte Euroantlantiker" und "feige" genannt. Dass er sie als "feige" bezeichnet, dürfte den Hintergrund haben, dass sie nicht das Format einer Strack-Zimmermann haben, wenn man in dem Zusammenhang von Format reden kann. Radev meint damit, dass sie die Entscheidung, junge Bulgaren in die Ukraine zu schicken, lieber anderen Mächten überlassen. Wer die anderen Mächte sein könnten, davon bekam der, der es bisher nicht wusste, eine Vorstellung durch den Mitschnitt einer Geheimrede von Kiril Petkow. Petkow, zu dem Zeitpunkt war er schon nicht mehr Ministerpräsident Bulgariens, sprach in seiner illegal mitgeschnittenen Rede von einer ausländischen Botschaft, mit der er über Namen gesprochen habe. Praktisch so wie Fuck-the-EU Victoria Newland in der Ukraine am Telefon über Namen gesprochen hat. Der Botschafter der ausländischen Botschaft in Bulgarien, die gemeint war, dürfte die des Landes gewesen sein, für das Nuland in der Ukraine tätig war. Das bestätigte der Botschafter dieses Landes in Bulgarien seinerzeit indirekt. Dies ist wohl bei dem netten Herrn oben rechts noch nicht angekommen. Dass er Christo Petrov heißt, wusste ich bisher nicht. Ich kenne ihn als Itzo Hasarta, den vielleicht bekanntesten Rapper Bulgariens. Kurz vor Corona war ich noch zu einem Konzert von ihm in Kreuzberg gewesen. In diesem Song beklagt er sich über die Korruption in Bulgarien. Dass sein Ministerpräsident, Itzo ist in derselben Partei, korrupt in dem Sinne sein könnte, dass er mit einer ausländischen Botschaft über Namen spricht, darauf ist Itzo offensichtlich noch nicht gekommen. So auch ein ehemaliger Berliner Taxifahrerkollege, der wie ich wegen Uber seine Arbeit verloren hat. Der Kollege schickte mir vorgestern diesen Bericht von Deutschlandfunk Kultur über Korruption in Bulgarien. Vielleicht ist es dem ein oder anderen auch schon aufgefallen. Wenn im Westen über Bulgarien berichtet wird, geht es in den allermeisten Fällen um Korruption. Zweifellos gibt es in Bulgarien Korruption. Aber die gibt es überall. Mancherorts heißt sie nur anders - Lobbyismus. In der Heimat scheinen das viele nicht zu wissen. Das ist zumindest mein Eindruck. Die hören dann solche Berichte im Radio und denken: Was bin ich froh, dass ich "im besten Deutschland, das es jemals gegeben hat" lebe. Ein Kollege, der so wie ich wegen Uber seine Arbeit verloren hat, sollte es besser wissen. Genauso wie Itzo es besser wissen sollte. Nun zu dem Herrn links oben und unten. Das ist Kostadin Kostadinow von der Partei "Wiedergeburt". Bei ihm war ich nicht zum Konzert, dafür habe ich ihn zu einem Interview im bulgarischen Parlament in Sofia getroffen. Das ist jetzt einige Zeit her. Das Interview wollte niemand bringen - zumindest nicht in der Heimat. In Bulgarien wird Kostadinow regelmäßig interviewt, und die Interviews werden dann auch gesendet, selbst im staatlichen bulgarischen Nationalradio. Dort kommen sie sogar ganz ohne erhobenem Zeigefinger und vor allem ohne den Hinweis aus, dass es sich bei der Partei "Wiedergeburt" um eine "nationalistische" oder gar "ultranationalistische" Partei handeln würde. In Deutschland mittlerweile undenkbar. In Bulgarien Normalität. Der Name "Wiedergeburt" ist nicht einfach ein rückwärts gewandtes Wort, sondern eine historische Epoche in Bulgarien, ähnlich der Renaissance. Gemeint ist mit Wiedergeburt die Zeit kurz vor aber v.a. nach der osmanischen Fremdherrschaft, die immerhin 500 Jahre andauerte und erst 1878 endete. Kostadinow, Chef der Partei "Wiedergeburt", möchte nicht nur Bulgarien (oben) "wieder gebären", sondern auch Europa (unten). Bildlich kann man sich das nur schwer vorstellen, mir ist es jedenfalls nicht gelungen. Inhaltlich fällt mir das schon leichter. Da stelle ich es mir so vor, dass man als Ministerpräsident eines Landes nicht mit einer ausländischen Botschaft über Namen spricht. Warum Präsident Radev von "Euroatlantikern" anstelle von "Transatlantikern" in seinem ansonsten mutigen Statement spricht, erkläre ich mir so, dass er nicht als nächstes erschossen werden möchte. Das Attentat auf den slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico dürfte jedem, der an der Macht und anderer Meinung ist, eine Warnung sein. Zugegeben, viele Bulgaren interessiert auch das nicht. Vermutlich werden die meisten auch diesmal nicht wählen gehen. Bei den letzten Wahlen lag die Wahlbeteiligung bei gerade einmal 40 Prozent oder drunter. Immerhin, das Volk, das laut Tucholsky das meiste falsch versteht, aber das meiste richtig fühlt, scheint es verstanden zu haben: Wahlen ändern nichts, sonst wären sie verboten. Die Wende, und damit möchte ich an diesem Mega-Europa-und-National-Wahl-Sonntag enden, wurde auch nicht durch Wahlen eingeleitet, sondern durch Demonstrationen und Massen-Proteste.


 Fotos&Text TaxiBerlin

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