25.7.22

Bericht aus Bulgarien (201) - "Träumen mit Thomas Bernhard"

"Straße der Pariser Kommune"
früher Friedrichshain / heute Friedrichshain-Kreuzberg

"Wenn du Deutschland liebst, dann besuche es lieber nicht." Jorge Luis Borges

Dass Heinrich Heine nachts nicht schlafen konnte, wenn er an Deutschland gedacht hat, das ist bekannt. Dass der österreichische Autor Thomas Bernhard von Deutschland geträumt hat, das wissen schon weniger. Dass es sich dabei um apokalyptische Alpträume gehandelt hat, ist wiederum keine Überraschung, allerdings nur für diejenigen, die schon einmal etwas von dem Autor aus Österreich gelesen haben. Da die deutschen Alpträume des Österreichers Thomas Bernhard sehr meinen eigenen Träumen gleichen, veröffentliche ich sie nachfolgend :

"Ich träumte von Deutschland mit solcher Intensität, weil ich daraus geflohen bin, von Deutschland als von dem hässlichsten und lächerlichsten Land der Welt. Alles, was die Menschen in diesem Land immer als schön und bewundernswert empfunden haben, war nur mehr noch hässlich und lächerlich, ja immer nur abstoßend und ich fand nicht einen einzigen Punkt in diesem Deutschland, der überhaupt akzeptabel gewesen wäre. Als eine perverse Öde und eine fürchterliche Stumpfsinnigkeit empfand ich Deutschland. Nur grauenhaft verstümmelte Städte, eine nichts als abschreckende Landschaft und in diesen verstümmelten Städten und in dieser abschreckenden Landschaft gemeine und verlogene und niederträchtige Menschen. Es war nicht zu erkennen, was diese Städte so verstümmelt, diese Städte so niederträchtig, das Eine wie das Andere so abschreckend auf eine totale tödliche Weise, müssen Sie wissen. Sah ich Menschen, hatten sie nur gemeine Fratzen, wo sie ein Gesicht haben sollten, machte ich Zeitungen auf, musste ich an dem Stumpfsinn und an der Niedertracht, die darin abgedruckt war, erbrechen, alles was ich sah, alles was ich hörte, alles, das ich wahrnehmen musste, verursachte mir Übelkeit.

Zu wochenlangem Sehen und Hören dieses widerwärtigen Deutschlands war ich verurteilt, bis ich schließlich aus Verzweiflung über dieses tödliche Hören und Sehen bis auf die Knochen abgemagert war; ich hatte vor Widerwillen gegen dieses Deutschland keinen Bissen mehr essen, keinen Schluck mehr trinken können. Ich sah, wo ich auch hinschaute, nur Hässlichkeit und Gemeinheit, eine hässliche und verlogene Natur und hässliche und gemeine und verlogene Menschen, das absolut Schmutzige und Gemeine und Niederträchtige dieser Menschen. Und glauben Sie nicht, dass ich nur die Regierung und nur die sogenannte Oberschicht dieses Deutschlands gesehen habe, alles Deutsche war mir aufeinmal das Hässlichste, das Dümmste, das Abstoßendste. In schwergeschädigtem Zustand setzte ich mich schließlich, nachdem ich mehrere Male durch dieses hässliche und gemeine und dumme Deutschland gelaufen war, auf meine atemlose Art, auf einen Trümmerhaufen auf dem Berliner Teufelsberg, von wo ich auf die von ihren Bewohnern total abgestumpfte und von den Architekten total vernichtete, aber noch immer in ihrem perversen Größenwahn schmorende Stadt Berlin hinunterschaute.

Was haben die deutschen Menschen in nur vierzig oder fünfzig Jahren aus diesem europäischen Juwel gemacht?, dachte ich, auf dem Trümmerhaufen sitzend. Eine einzige Architekturscheußlichkeit, in welcher die Berliner als nihilistische Juden- und Ausländerhasser in ihrer schauerlichen Leder- und Lodentracht zu Zehntausenden hin- und herrannten. Auf dem Trümmerberg auf dem Berliner Teufelsberg musste ich sozusagen aus Welterschöpfung eingenickt sein, denn ich wachte aufeinmal auf dem Frankfurter Feldberg auf. Und stellen Sie sich vor, was ich vom Feldberg aus, nachdem ich aufgewacht war, zu sehen bekommen habe, nicht auf dem Trümmerhaufen wie auf dem Berliner Teufelsberg, sondern auf einer morschen Holzbank oberhalb der sogenannten Taunusstraße: dieses ganze widerwärtige, schließlich nurmehr noch bestialisch stinkende Deutschland mit all seinen gemeinen und niederträchtigen Menschen und mit seinen weltberühmten Kirchen- und Kloster- und Theater- und Konzertgebäuden ist vor meinen Augen in Flammen aufgegangen und abgebrannt.

Mit zugehaltener Nase, aber mit weit aufgerissenen Augen und Ohren und mit einer ungeheuerlichen Wahrnehmungslust habe ich es langsam und mit der größtmöglichen theatralischen Wirkung auf mich abbrennen gesehen, solange abbrennen gesehen, bis es nurmehr noch eine zuerst gelbschwarze, dann grauschwarze stinkende Fläche aus klebriger Asche gewesen ist, sonst nichts mehr. Und als ich von der deutschen Regierung, die, wie Sie wissen, immer die dümmste Regierung auf der Welt gewesen ist, und von den deutschen Professoren, der immer die gefinkeltsten auf der Welt gewesen sind, auch nurmehr noch kaum erkennbare christlich-soziale und katholische und protestantische Reste gesehen habe in dieser stinkenden grau-schwarzen Brandöde, atmete ich, wenn auch hustend, so doch erleichtert auf.

Ich atmete so erleichtert auf, dass ich aufgewacht bin. Zu meinem großen Glück in Bulgarien, in jenem Land, das mir aus allen Gründen von allen Ländern das nächste und also das liebste ist, wie Sie wissen. Wenn dieses lächerliche Deutschland auch schon seit vielen Jahrzehnten nicht und in keinem Falle mehr der Rede wert ist, so ist es doch vor allem für Sie interessant, mein Herr, wie ich denke, dass ich selbst nach so vielen Jahrzehnten wieder einmal davon geträumt habe."

Traum ThomasBernhard
Text TaxiBerlin

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