Der heutige Bericht von Joachim aus Bremen über die frühere bulgarische Hauptstadt Veliko Tarnovo im Zentrum des Landes ist etwas länger, weswegen ich mich kurz halte. Von mir gibt es eventuell später am Abend noch mal einen Eintrag oder morgen. Lass dich überraschen, auch von Joachims Bericht:
Wir sind gut angekommen in Veliko Tarnovo. Eigentlich sollte es eine Baustelle geben, die es kompliziert macht das Hotel anzufahren. Die gab es dann aber doch nicht. Die Fahrt hierher war unspektakulär, sieht man mal ab von den vielen Baustellen und Geschwindigkeitsbegrenzungen und all jenen, die sich nicht darum kümmern und trotzdem überholen.
Die Ankunft war mit einer Überraschung geschmückt: Mit solch einem großen geräumigen Hotelzimmer mit so toller Aussicht hatten wir nicht gerechnet. Die Stadt Tarnovo erstreckt sich über drei Haupt- und ein paar Nebenhügel. Die Häuser sind an die steilen Hänge gebaut und erinnern ein wenig an die Favelas in Rio de Janeiro, nur sind sie größer und in viel besserem Zustand. Unser Hotel ist eines davon und der Blick geht auf eine Insel, die durch den Flussbogen der Jantra gebildet wird. Mitten darauf steht das Denkmal dieser bulgarischen Heroen, die wohl dazu beitrugen die Republik zu gründen, ich glaube, Brüder sind es gewesen. Zu ihrer Zeit wurde Tarnovo zur Hauptstadt des bulgarischen Reiches, deshalb auch „Veliko“, was so viel heißt wie „großes“ oder „ruhmreiches“ Tarnovo. Rechts davon, noch auf der stadtnahen Seite des Flusses liegt eine Hotelruine. Riesig und unheimlich. Manch einer mag diese Architektur aus Sichtbeton dem Brutalismus zuordnen, wie er durch die Torres Blancas in Madrid vertreten wird. Hier jedoch gibt es zwar auch Sichtbeton, doch daneben Stilelemente, die dem Bunker ähnlichem das Rauhe und Formlose nehmen. Gewellte Dächer, die an Pagoden erinnern oder geschwungene Wände und Öffnungen, die zwar funktionslos sind aber stilgebend wirken.
Schade, dass niemand das Geld und den Mut besitzt, diesen Hotelkomplex wiederzubeleben.
Wir trafen zwei Stunden vor unserem Termin für die Stadtführung ein. Das war gut, denn wir waren müde und konnten uns ausruhen. Unsere Stadtführerin war pünktlich am Hotel und dankte uns für unsere Pünktlichkeit. Ich hatte mich an Tucholskys Ausspruch erinnert „Muss ich mich benehmen oder waren schon andere Deutsche hier?“ und mich für das Benehmen entschieden. Sie anscheinend auch. Vanja, unsere Stadtführerin hatte zwölf Jahre im hiesigen Archäologischen Museum verbracht und wusste viel zu berichten, wobei sie immer wieder auf die Archäologie zu sprechen kam. Heute arbeitet sie mit unwilligen Schülern und unterrichtet diese in Deutsch an einem Gymnasium. Die Führung ging durch Gassen und an alten Häusern vorbei, von denen manche gleich die Jahreszahlen ihrer Entstehung gut sichtbar an den Wänden trugen. Das seien die Botschaften von Russland, Rumänien und noch einem Land, da habe ich aber nicht aufgepasst. Wir mussten noch die ein oder andere Treppe, die ein oder andere Straße hoch und runter. Das seien, so wurde uns berichtet, auch die einzigen Richtungen, die es im Ort gäbe: Hoch, Runter, Treppe.
Vanja wusste auch viele Namen zu nennen, auch die von den Heroen, die als Denkmal verewigt sind drüben auf der Insel. Neben deren fremdländischen Namen und den vielen Jahreszahlen, die Vanja zu erzählen wusste, zeigte sie uns auch Hausfassaden und Gebäude, deren Funktion sie ebenfalls zu benennen wusste. Mir fällt es schwer dies alles zu erinnern, ich kann mich noch so viel anstrengen, diese Namen und Daten bleiben einfach nicht hängen in meinem Gedächtnis. Ist ja auch kein Wunder, denn woran sollen sie denn hängenbleiben, wo doch nicht mal meine Urgroßeltern zu den genannte Zeiten auf dieser Welt waren. Es geht weiter durch den Ort, durch die kleinen engen Gassen und Vanja weist hin auf ein Denkmal, eine Festungsanlage, links davon eine Kirche, das war dann aber nicht die einzige, man hatte die Fundamente von 23 anderen ausgegraben.
Nun ja. Mir wurde es nach 2,5h zu viel. Ich konnte mir ja eh nicht alles merken (s.o.) und deshalb winkte ich ab, als sie den Rest unserer Tour noch erwähnte. Wir sollten wieder runter zum Fluss und über eine der zwei Brücken hinüber zum Denkmal mit den Heroen und von dort zurück – wahrscheinlich über die zweite Brücke – zu unserem Hotel. Ich sagte etwas von Hunger und Restaurant, worauf sie uns gleich das ein oder andere mit Terrasse und Ausblick auf die Stadt zeigte.
Wir sind (schon wieder) in einer Art Pizzeria gelandet. Jetzt aber mit Aussicht und auf einer Terrasse.
Der erste Abend verlief ruhig und an einem Tischchen des zum Hotel gehörenden Restaurants. Wir hatten, wie kann es anders sein, eine gute Aussicht auf das Denkmal der Heroen und die Erinnerung an kommunistische Zeiten in Gestalt des riesigen Hotelkomplexes, tranken unser Bier und waren bald rechtschaffen müde.
Am zweiten Tag erhielten wir ein recht üppiges Frühstück. Als wir gegen zehn Uhr ins Restaurant kamen, waren wir die einzigen Gäste und ein Tisch extra für uns gedeckt. Es gab Wurst, Käse, Müsli, Obst und bulgarischen Joghurt. Dazu richtigen Kaffee, also Espresso, heiße Milch und Orangensaft. Dafür, dass die Bulgaren nicht frühstücken war dies doch eine Überraschung. Danach zogen wir los auf die Heroen-Insel, bestaunten die Helden, fanden im Denkmal gar die steinerne Abbildung einer Frau mit Kind und erkundeten die Wege und vor allem Treppen der Insel. Es wurde ein Waldbad, denn Bäume und Blätter gab es zuhauf.
Mir ist übrigens aufgefallen, dass auch die hiesige Geschichte eine Geschichte von Männern und ihrer Taten ist. Wir hätten doch mehr danach fragen sollen, was denn mit den Frauen war, als deren Männer so heroisch unterwegs waren, sich gegen und für etwas in den Kampf begaben und auf Schlachtfeldern ihr Ende fanden. Oder ähnlich wie Bertolt Brecht, der seine „Fragen eines lesenden Arbeiters“ formuliert:
"Wer baute das siebentorige Theben?
In den Büchern stehen die Namen von Königen.
Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?
Und das mehrmals zerstörte Babylon
Wer baute es so viele Male auf?
In welchen Häusern des goldstrahlenden Limas wohnten die Bauleute?
Wohin gingen an dem Abend, wo die Chinesische Mauer fertig war die Maurer?
Das große Rom ist voll von Triumphbögen. Wer errichtete sie?"
Tja, verpasste Gelegenheiten, wir können dann in Plovdiv während der dortigen Stadtführung das Fragen üben.
Für Kerstin und mich ist es mittlerweile auffällig, dass wir uns immer dann auf den Weg machen, wenn die Hitze des Tages am größten ist. Wie auch jetzt wieder. Jedes Mal, wenn wir aus dem Schatten der Bäume traten, konnten wir feststellen, was Hitze bedeutet. Allerdings eine Hitze der gnädigen Art. Vanja hatte uns erzählt im Sommer könne es hier auch 42° heiß werden. Da sind wir doch eher einer Wärme statt einer Hitze ausgesetzt.
Der Tag ist noch nicht zu Ende und doch sind wir müde. Es muss eine Alterserscheinung sein, die sich da zeigt. Da wir aber wissen, dass nichts schlimmer ist als eine Stadterkundung in müdem Zustand, gehen wir erst zurück ins Hotel, um uns auszuruhen und fit zu machen für einen zweiten An- und Abstieg durch die Stadt und ihre Gassen.
Anzuraten ist, eine Stadtbesichtigung morgens früh, vielleicht kurz nach Sonnenaufgang zu machen. Abzuraten ist, diese zwischen 15:00 und 18:00 bei ca. 28° Celsius durchzuführen in einer Stadt, die keine Fußgängerzonen kennt und nur das Hoch, Runter und Treppe. Es ist nicht nur laut in den Straßen, die Luft dort ist auch von Abgasen geschwängert. Wenn dann noch für Abends ein Gewitter angesagt ist, dann sollte man eigentlich an einem kühlen Platz bleiben und sich nicht bewegen.
Wir haben uns nicht daran gehalten und sind durch die Straßen gelaufen, haben die Schaufenster begutachtet und einen DM-Markt besucht. Der war kühl. Die Produkte dort sahen auch nicht anders aus als bei uns. Bis auf die Beschreibungen, die auf bulgarisch oder in Englisch zu lesen waren. Kerstin übte sich im Entziffern der kyrillischen Buchstaben. Nicht nur im DM, sondern auch überall dort, wo Schilder und Informationstafeln zu sehen waren. Davon gab es einige und so zog sich unser Schaufensterbummel hin.
Den heutige Abend werden wir in unserem Hotel-Restaurant verbringen mit der schon erwähnten Aussicht auf das Heroen-Denkmal und den zerfallenden Hotelkomplex. Und da es die Speisekarte auch auf Englisch gibt, werden wir wohl keine Probleme mit der Bestellung haben. Morgen fahren wir weiter ins Rosental, in den Ort Kalofer. Dem Geburtsort eines weiteren bulgarischen Helden, Christ Botew. Ihm zu Ehren heulen in ganz Bulgarien am 2. Juni um 12:00 Uhr die Sirenen. Gut, dass Rumen uns darauf aufmerksam machte, wir hätten uns womöglich auf die Suche nach dem nächsten Luftschutzkeller gemacht. Eine alte deutsche Gewohnheit ...
Foto&Text JoachimBremen
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