29.6.22

Bericht aus Berlin (44) - "Deutschland kann ich mir nicht mehr leisten"

Hier stand einst die "Kochmaschine"

Es ist jetzt 15 Jahre her, da wollte ich schon einmal nach Bulgarien auswandern. Dazu habe ich meine Berliner Wohnung aufgelöst und die wichtigsten Sachen ins Auto getan. Da noch genug Sachen übrig blieben, hat mir mein Vermieter damals ein Zimmer im unsanierten Seitenflügel als Lager angeboten. Das ganze für'n Appel und 'n Ei, wie man so schön sagt. Etwas, was man heute wohl nicht mehr finden würde in Berlin. Mein Vermieter hatte allerdings eine Bedingung. Spätestens nach einem halben Jahr müsse ich kommen und das Lager auflösen. Ich musste also sowieso zurück, aber ich kam auch, weil damals die Finanzkrise ausgebrochen war. Immerhin gab es noch Arbeit als Taxifahrer für mich, so dass ich gleich anfangen konnte zu arbeiten. Einquartiert habe ich mich in mein Lager. Es war damals schon schwer, etwas im Friedrichshain zu finden, insbesondere wenn man zuvor ein halbes Jahr im Ausland und ohne Einkommen war. Mein Vermieter sah sich das nicht nur an, auch das würde heute wohl kaum ein Vermieter machen, sondern bot mir darüber hinaus nach kurzer Zeit auch an, das Lager zum Wohnen zu mieten. Irgendwie dachte er, dass ich mich bald wieder auf den Weg nach Bulgarien machen oder zumindest pendeln würde. Das tat ich nicht, weil ich das Geld vom Taxifahren brauchte. Mehr als zwei oder drei Monate im Jahr verbrachte ich nicht in Bulgarien, die meiste Zeit war ich in Berlin. Heizen tat ich mit zwei alten Kohleöfen, die aber nicht angemeldet und dementsprechend auch nicht versichert waren. Mein Vermieter sagte mir, dass ich das so machen solle. Er sagte mir auch immer bescheid, wenn der Schornsteinfeger kam. Dann durfte ich ein oder zwei Tage nicht heizen. Nach zwei Jahren meinte mein Vermieter, dass wir da was machen müssten. Er schlug mir neue Fenster und eine Gasetagenheizung vor, dem ich sogleich zustimmte. Es gab allerdings einen Haken. Die beiden Kachelöfen, ingesamt waren es drei, denn in der Küche gab es noch eine alte "Kochmaschine", sollten raus - sonst keine neuen Fenster und auch keine Gasetagenheizung. Beim rausreissen geholfen hat mir mein bester Freund Dietrich, der damals noch lebte. Auch zu zweit war es eine Schweine-Arbeit, vor allem aber eine sehr schmutzige Arbeit. Auch weil ich darauf keinen Bock hatte, aber nicht nur, hatte ich zuvor meinen Vermieter gefragt, ob ich die Kachelöfen nicht drin lassen könne, falls es irgendwann mal kein Gas mehr vom Russen geben sollte. "Russengas" hat damals noch niemand gesagt, und ich sage es auch heute nicht. Aber auch das hat nicht geholfen, mein Vermieter bestand auf den Abriss. Und so ist es dann gekommen. Bis heute kann ich sehen, wo die Öfen mal gestanden haben. Ein wenig riechen die nicht abgeschliffenen Dielen, auf denen sie gestanden haben, auch heute noch nach alter Kohlenasche. Sie erinnern mich Tag für Tag aufs Neue an den Fehler, den ich damals begangen habe, als ich sie zusammen mit meinem besten Freund rausgerissen habe. Wären die Kachelöfen heute noch in meiner Wohnung, würde ich dem nächsten Winter in Deutschland relaxter gegenüberstehen, wenn der Gas-Preis von heute auf morgen ins exorbitante steigen kann und wird. Aber so, also ohne wärmende Kachelöfen, werde ich demnächst nach Bulgarien zurück gehen, zurück gehen müssen. Ich kann mir Deutschland jetzt schon nicht mehr leisten.

Foto&Text TaxiBerlin

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