Vor wenigen Tagen hat mich ein guter, allerdings ungeimpfter Freund aus Sofia angerufen, den ich im Sommer letzten Jahres auf der Straße in der bulgarischen Hauptstadt kennengelernt habe. Er erzählte mir unter anderem von seiner geimpften Schwester, die gemeinsam mit ihrem bulgarischen Mann seit einiger Zeit in Chemnitz lebt und arbeitet, nun für einige Tage nach Bulgarien gekommen war, und mit der er eine gemeinsame Wohnung im Stadtteil Geo Milev der bulgarischen Hauptstadt bewohnt. Diesmal war die Schwester aber die meiste Zeit bei den Eltern gewesen, die außerhalb der Stadt ein Häuschen haben. Einmal sei die Schwester aber dann doch in die gemeinsame Wohnung nach Sofia gekommen, besser geschlichen, und habe sich, ohne dass sie in das Zimmer des Bruder gegangen und mit ihm gesprochen hätte, etwas aus ihrem Zimmer geholt, um sich danach wieder aus der Wohnung zu schleichen. Am Ende hat mein Freund seine Schwester während ihres Aufenthaltes in Bulgarien nicht einmal gesehen, geschweige denn gesprochen.
Auch in Bulgarien gibt es also dieses Phänomen, dass die Corona-Geschichte nicht nur Freunde, sondern ganze Familien auseinanderbringt. In der Regel sind es aber genau solche Geschichten wie die meines Freundes, wo der andere in Deutschland oder in einem anderen Land im Westen lebt und arbeitet. Von den 20- bis 45-jährigen Bulgaren arbeitet jeder zweite im Ausland. Ein Umstand, den auch Sarah Wagenknecht in ihrem letzten Buch „Die Selbstgerechten“ erwähnt. Viele Bulgaren arbeiten auch in Großbritannien, aber eine solche krasse Geschichte wie die meines Freunds, dessen Schwester wie gesagt in Deutschland lebt, habe ich da noch nicht gehört, so dass ich zu dem Schluss kommen, dass es sich dabei vor allem um ein sehr deutsches Phänomen handelt. Dieses penetrante Besserwissen, durch das sich bereits vor Jahren der Besser-Wessi ausgezeichnet hat, kombiniert mit dem Zwang alles kontrollieren zu wollen, macht den Deutschen so gefährlich insbesondere wieder in diesen Tagen. Der Deutsche ist aber nicht an sich böse, davon bin ich fest überzeugt.
Meine Partnerin aus Kalifornien und Taxi-Kollegin aus New York und ich hatten und haben wie zu vielen anderen Themen auch zu Corona nicht immer dieselbe Meinung. Für uns ist das nichts Neues, sondern Normalität, Alltag, wobei man dazu sagen muss, dass je länger die Corona-Geschichte nun dauert, unsere Einschätzungen dazu sich immer mehr annähern. Bei vielen, insbesondere in Deutschland, scheint das anders zu sein. Bei manch einem Freund bzw. Bekannten in der Heimat habe ich gar den Eindruck, sie wünschten sich regelrecht, dass auch ich mich deswegen mit meiner Frau streiten oder gar auseinandergehen würde. Ich kann sie beruhigen, diese Gefahr besteht nicht. Ganz im Gegenteil, die Corona-Geschichte hat uns noch einmal näher gebracht als wir es zuvor schon waren, und zwar durch viele Gespräche. Auch jetzt telefonieren wir praktisch täglich und ausgiebig miteinander. Sie in Berlin, ich in Bulgarien.
Bei unseren Telefonaten geht es aber nicht darum, den anderen von irgendetwas zu überzeugen zu wollen, weil man denkt, man wüsste es besser, wie in Deutschland gerade wieder üblich. Nein, darum geht es nicht. Sondern es geht vor allem darum, dem anderen zuzuhören und zu verstehen, warum er so tickt, wie er eben tickt. Also genau das, was ich viele Jahre lang in meinem Taxi, in dem man zwar nicht telefonieren, dafür aber alles sagen durfte – sogar die Wahrheit, praktiziert habe. Am Ende kommen wir beide dabei immer wieder auf das Thema Angst, also nicht DIE Wissenschaft und auch keine angeblichen Fakten, die uns nun schon seit zwei Jahren Tag für Tag aufs Neue gemacht wird, und die uns so ticken lässt, wie wir eben ticken. Unsere Angst, wobei die vor Corona eine immer untergeordnete Rolle in unseren Gesprächen spielt, überhaupt einmal aussprechen zu können, und sie nicht gleich bewerten oder gar unterdrücken zu müssen, leider der Normalfall insbesondere in Deutschland, hat etwas sehr befreiendes. Das ist zumindest unsere Erfahrung. Um sie machen zu können, muss man aber miteinander sprechen, dem anderen zuhören können und verstehen wollen.
PS: Fällt mir gerade noch ein, dass Deutschland auf Bulgarisch „Germanija“ heißt. Die besondere Besessenheit des Deutschen, seine krankhafte Manie, ist hier also schon in seinem Namen enthalten: „Ger-Manija“ = Die Deutsche Manie.
Foto&Text TaxiBerlin
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