Neulich, es war noch in Berlin, habe ich mich mit jemandem über die bevorstehende Fußball-EM unterhalten. Plötzlich meinte dieser jemand, der mich nicht richtig kennt, dass ich gar keine Ahnung vom Fan-sein hätte. Er sagte nicht, ich hätte keine Ahnung von Fußball, wobei bereits diese Aussage zweifelhaft gewesen wäre, sondern dass ich keine Ahnung vom Fan-sein hätte, weil ich, und jetzt kommt das beste, nie Fan gewesen wäre. Wie derjenige darauf kommt, der mich wie gesagt gar nicht kennt, dass ich nie Fan gewesen sei, wäre auch noch mal einen Beitrag wert, allerdings von demjenigen, der behauptet hat, dass ich keine Ahnung vom Fan-sein hätte.
In diesem, meinem Beitrag geht es um meine Arbeitssuche in Bulgarien, die jetzt nach nur vier Wochen Fahrt aufnimmt, wobei mir die Fußball-Europameisterschaft zu Pass kommt und auch die eingangs erwähnte Unterhaltung. Denn eines stimmt zumindest, und zwar dass ich kein Fan von irgendeiner Fußball-Mannschaft bin. Das heißt aber nicht, dass ich keine Ahnung vom Fan-sein hätte – ganz im Gegenteil. Vor allem bedeutet es aber, dass es für mich als bekennender Nicht-Fußball-Fan, sozusagen als Fußball-Fan-Nihilist, viel leichter ist, vom Fan-sein anderer zu profitieren. Nach nur vier Wochen Arbeitssuche in Bulgarien ist mir nämlich klar geworden, dass eine normale, also abhängige Beschäftigung für mich nicht in Frage kommt. Das hängt auch mit meiner früheren Freiheit im Taxi zusammen, selbst wenn dieses nicht mein eigenes war. In Bulgarien, wo das Taxigewerbe um 25% eingebrochen ist, ganz ohne Uber übrigens, die aber schon wieder vor der Tür stehen, ist das Taxifahren keine Option für mich, sondern kommt für mich nur eine freischaffende Tätigkeit in Frage, die hier Business-Man heißt.
Die Fußball-EM ist nur der aktuelle Anlass für meine Geschäftsidee, so wie Corona nur der Anlass für den Niedergang des Taxigewerbes ist, der in Berlin demnächst mit der Abschaffung der Ortskundeprüfung für Taxifahrer enden wird. Das Ende vom Ende sozusagen, denn dann kann wirklich jeder Idiot Taxifahrer werden, so wie heute schon jeder Idiot Überfahrer Uberfahrer werden kann. Jedes Ende ist aber immer auch ein Neuanfang oder kann es zumindest sein. Viele Marktteilnehmer verschwinden auch einfach vom Basar, gehen entweder ins gelobte deutsche Land oder in die ewigen Jagdgründe ein. Auch das gibt es. Die gerade über ganz Europa verteilt stattfindenden Fußball-Spiele, wo wieder viel geflogen werden muss um von A nach B zu kommen, was es eigentlich gar nicht mehr geben soll, was aber schon wieder ein anderes Thema ist, hat mich auf die Idee gebracht ins Retro-Geschäft einzusteigen, in gewisser Weise also zurück zu gehen, was auch sonst gut zu mir passt, wie ich denke.
Das Retro-Geschäft ist nicht jedermanns Sache, das ist leider auch wahr. Dafür kleiden sich immer mehr Menschen Retro, dir wird das auch aufgefallen sein. Und da sind alle die, die nie zurückblicken, die, die am meisten Retro tragen. Das ist wie mit dem Fan-sein, wo alle die die fanatischsten sind, die anderen vorwerfen, niemals Fan gewesen zu sein und sich deshalb kein Urteil übers Fan-sein erlauben zu dürfen. Das gab es früher nur in Bulgarien. Da durften sich auch nur Bulgaren ein Urteil über Bulgarien erlauben. Dass es das jetzt auch in Deutschland gibt, hängt möglicherweise auch mit der schleichenden Balkanisierung zusammen. Eine Idee von mir, die ich auch gerne zur Geschäftsidee gemacht hätte, wenn ich nur gewusst hätte, wie. Deswegen jetzt das Retro-Geschäft, das nur funktioniert, weil es hier in Bulgarien noch keine chinesischen Billigläden wie bei uns gibt, sondern ein Second-Hand neben dem anderen ist, in denen Klamotten aus Deutschland angeboten werden. Und da finde ich gerade passend zur Fußball-EM jede Menge Trikots, T-Shirts und Trainingsanzüge, viele davon wie neu oder ganz und gar ungetragen.
Das rote Adidas-Shirt mit der Aufschrift „espana – all together“ (eigentlich das Motto der Bulgaren, die am liebsten alles zusammen machen) beispielsweise ist komplett neu, hatte noch das Etikett der EM von 2012 dran. Damals sollte es 35 Euro kosten, im bulgarischen Second-Hand kostet es zwei Lewa, was ein Euro ist. Ich habe es nur einmal kurz in hiesiges Wasser gelegt, also gar nicht richtig gewaschen, und werde es sogleich für 25 Euro im Internet anbieten. Das bulgarische Wasser ist so weich, da kommt der Dreck von ganz alleine raus, im Gegensatz zum Wasser in Deutschland, das so hart ist wie die Menschen, die selbst ihren Schmutz nicht freiwillig hergeben. Nicht alle Retro-Sachen sind wie neu, an manchen muss auch etwas gemacht werden, ins Wasser legen alleine reicht da nicht. Dafür habe ich jetzt Krassimira, die krass Schöne, die letzte in Bulgarien verbliebene Bulgarin. Krassimira hat nicht nur einige Zeit für den bekannten italienischen Designer Roberto Cavallo gearbeitet, sondern ist selbst auch Designerin und kann vor allem richtig gut nähen. Das ist nicht selbstverständlich in Bulgarien, wo alle Maistors sind, meistens allerdings von Dingen, von denen sie nichts verstehen.
Bisher hat Krassimira umsonst für mich genäht, und wie gesagt sehr gut. Die Sachen sehen jetzt besser aus als neu, das kannst du mir glauben. Natürlich kann Krassimira nicht auf Dauer umsonst für mich arbeiten, das dürfte auch demjenigen einleuchten, der ansonsten nur vom Fan-sein etwas versteht. Damit Krassimira auch weiterhin umsonst für mich arbeitet, musst du nur ein Designerstück von ihr kaufen. Die Spezialität von Krassimira ist Patch-Work, was wieder im Kommen ist, auch wenn das viele noch nicht wahrhaben wollen. Ich meine, wer hätte vor Jahren gedacht, dass sich die Leute nochmal irgendwelche bescheuerten neonfarbenen Adidas-Nylon-Jacken aus den Achtzigern anziehen werden. Du vielleicht? Also ich nicht!
Krassimira kann aber nicht nur Patchwork, Krassimira kann alles, wie praktisch jeder Bulgare alles kann, können muss. Was der Bulgare nicht kann, ist ständig um die Welt jetten. Das kann er nicht. Aber möglicherweise führt dieses Unvermögen dazu, dass er alles andere kann. Ist nur eine Theorie von mir. Muss nicht stimmen. Was stimmt, ist, dass Krassimira und ich jetzt Geschäftspartner sind, oder zumindest dabei sind zu werden. Um meine Retro-Sachen mache ich mir keine Sorgen, die verkaufen sich übers Internet wie geschnitten Brot. Jetzt geht es nur noch darum, die Patchwork-Welle anzukurbeln, damit das Joint-Venture zwischen Krassimira und mir in die Gänge kommt. Und fast hätte ich jetzt gesagt: Retro war gestern – heute ist Patchwork! Aber ich will mir mein Retro-Geschäft nicht kaputt machen. Ich versuch’s mal so: Zieh ’ne Patchwork-Jacke übers Retro-Shirt und du bist im Trend – in dem von Krassimira und mir!
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