Sexstillleben: "Ruf mich an!"
Seitdem wieder Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche auf dem Breitscheidplatz ist, stehe ich immer öfter an der Taxihalte am Europacenter. Die Tauentzienstraße ist dort zwar gesperrt, aber für Taxen ist die Zufahrt erlaubt, was viele Kollegen nicht zu wissen scheinen. Zum wiederholten Male stiegen mir nun an der Halte Europacenter Frauen ein, die zum Artemis wollten, weil sie dort arbeiten. Das Artemis, wer es nicht kennt, ist ein Großraumbordell am Ende des Ku'damms. Manche bezeichnen das Artemis auch als Fitness- oder gar als FKK-Club. FKK steht für FreiKörperKultur. Frei im Sinne von entblößt mögen im Artemis die Körper sein, frei im Sinne von umsonst ist im Artemis aber nichts. Die Fahrstrecke der Frauen, die mir am Europacenter einsteigen und zum Artemis wollen, weil sie dort ihren Körper verkaufen, ist immer dieselbe. Einmal den Ku'damm rauf, was durchaus Spaß macht. Der Ku'damm ist zwar immer ganz voll von Autos, denn er ist gerade sehr schön aber total klimaschädlich ausgeleuchtet. Dafür gibt es eine Busspur, die ich mit den Damen an Bord benutzen darf, sie müssen schließlich zur Arbeit. Am Ende vom Ku'damm, bevor es rechts die Halenseestraße runter geht, wo sich das Artemis befindet, muss ich immer links auf die Aral-Tanke, wo die Frauen immer noch mal einkaufen müssen, obwohl sie gerade vom Einkaufen in der Tauentzienstraße kommen. Aber auch dafür habe ich Verständnis. Manche Sachen bekommt man eben nur an der Tanke, genauso wie man manches nur im Taxi erfährt. Die Damen früher haben den Taxifahrer gerne schon mal wie einen dummen männlichen Affen behandelt, insbesondere bei Frauen aus Osteuropa war dies die Regel. Da hat sich viel verändert in den letzten Jahre, was auch beweist, dass früher eben doch nicht alles besser war, und Menschen sich auch weiterentwickeln können, was man damals Dialektik nannte. Ich kam also mit all den Frauen, die mir am Europacenter einstiegen, zum Artemis wollten und allesamt aus Osteuropa stammten, was ihr starker Akzent verriet, immer in ein nettes Gespräch. Doch bevor ich darüber schreibe, möchte ich noch folgendes erwähnen. Ich denke in letzter Zeit immer öfter an Sex, um ganz ehrlich zu sein eigentlich ständig. Es kann sein, dass das mit der Werbung zusammenhängt, die seit einiger Zeit praktisch ohne weibliche Brüste nicht mehr auskommt. Vielleicht spielt auch die Vielweiberei eine Rolle, dass ich ständig an Sex denken muss, denn die Vielweiberei ist das Ding von morgen, wenn du so willst, der neueste Trend, den noch keiner kennt. Bei den Fahrten mit den jungen Frauen, die vom Europacenter zum Artemis wollten, hatte ich nun komischerweise überhaupt keinen Sex im Kopf. Das liegt vor allem daran, dass wir sozusagen Kollegen sind. Die Frauen sind im Prinzip Flaschensammler, so wie ich. Auch ihnen haben es die leeren Flaschen angetan, denn die bringen Geld. Der einzige Unterschied scheint mir zu sein, dass ich die Pflicht zur Beförderung habe und sie nicht. Ansonsten müssen aber auch sie, genauso wie ich, jeden an sich ran lassen. Nun zu dem, was mir die Frauen unisono erzählten. München, und das hat mich dann doch überrascht, sei in Sachen Sex TOT. TOT wurde mehrfach wiederholt und mit sehr sehr starkem osteuropäischen Akzent ausgesprochen. Das musste ich mir förmlich merken. Was mir noch wichtiger erschien, war, dass 98% der Männer im Artemis Ausländer seien. 98% Ausländer und 2% Deutsche! - das musst du dir mal vorstellen! Ich gehe mal davon aus, dass die Zahlen stimmen. Wichtiger ist sowieso, wie man die Statistik interpretiert. Also ich sehe da genau zwei Möglichkeiten: Entweder kann sich der von hier keinen Sex mehr leisten, oder er hat einfach keinen mehr. Egal, was nun stimmt, es läuft beides immer auf das selbe hinaus.
Foto&Text TaxiBerlin